Die Treppe im See(80)
Strohman selbst war ansehnlicher. Gro?gewachsen und kr?ftig mit gesund aussehendem Haar sowie gut definierten Zügen. Der Chef der Polizei strahlte auf unbestimmte Weise einen Promi-Status aus. Er trug ein wei?es Anzughemd ohne Krawatte, dessen ?rmel fast bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren und dazu eine dunkelgraue Bundfaltenhose. Er sa? zurückgelehnt in einem h?lzernen Schreibtischstuhl, das Telefon am Ohr, als mich Cordova durch die Tür bugsierte.
Cordova hatte mich zuvor angewiesen, ich solle mich auf der Toilette am Ende des Gangs frischmachen. Er gab mir ein schmuddeliges Handtuch und ein Stück Seife, dessen Oberfl?che mit fleckigen Bl?schen darauf hindeutete, dass sie selbst gewaschen werden sollte. W?hrend ich die Blutkruste von Hand und Arm wischte sowie die roten Schlangenlinien entfernte, die vom linken Nasenloch hinunter über Lippen und Kinn verliefen, h?rte ich die beiden Beamten auf dem Gang murmeln. Ihre Kommunikation war brüsk. Ich verstand nur einzelne Fetzen der Unterhaltung. Glaubte jedoch sicher, Adams Namen geh?rt zu haben. Indem ich mich dichter vor den schmierigen und verspritzten Spiegel beugte, betupfte ich die gl?nzende, frische Blessur an der Seite meiner Stirn.
Nun, da sich die Tür zu Strohmans Büro hinter mir schloss, war ich nicht unbedingt ein neuer Mensch, fühlte mich aber wenigstens nicht mehr wie ein Landstreicher, den man wegen Herumlungerns aufgelesen hatte.
?Also gut?, sprach Strohman in den H?rer. Er wies auf den einzigen anderen Stuhl im Raum, der vor seinem Schreibtisch stand. ?Danke, Rich … Yeah, kein Problem. Sicher … Grü? Maureen von mir … Genau. Du auch.?
Gerade als ich Platz nahm, legte er auf. Ich drückte immer noch das Notizbuch an meine Brust, meine beiden Fü?e standen fest auf dem Boden. Ich hatte einen pl?tzlichen Rückblick, von meinem Verh?r durch Detective Wren zwanzig Jahre zuvor – wie ich zitternd mit einem Handtuch über meinen schm?chtigen Schultern auf einer Bank am Fluss gesessen und schluchzend versucht hatte, so gut ich konnte zu erz?hlen, was passiert war. Grillen tauchten vor mir im sommerlich hohen Gras auf, und Stechmücken waren um meine Ohren geschwirrt. Wren hatte sich mir zugewandt und mich an der Schulter festgehalten, dabei sehr leise und sehr lethargisch gesprochen. Ich muss sagen, es ist ihm schwergefallen behutsam zu sprechen, selbst wenn sie ihn für so etwas ausgebildet hatten, ich war mir sicher, es war eine harte Prüfung für ihn.
?Travis?, sagte Strohman, ?ich hei?e Paul. Ich bin der Chef hier unten. Ich arbeite mit Ihrem Bruder zusammen.?
?Ich wei?, wer Sie sind.?
Er blieb unbeeindruckt. ?Sch?ne Schramme haben Sie da.?
?Sie sollten den anderen mal sehen.?
?Richtig.? Ich merkte, dass er nicht nur die farbenfrohe Schwellung an meiner Schl?fe be?ugte, sondern auch die Matschflecke an meinen Klamotten sowie mein wirres Haar. Er nahm den H?rer auf und tippte eine dreistellige Nummer ein. ?Hey Mae, bringen Sie uns Kaffee rein, ja? Danke.? Dann h?ngte er auf. ?Sie sehen aus, als k?nnten Sie einen gebrauchen.?
?Weshalb haben Sie mich herbringen lassen? Wieso wissen Sie, wer ich bin??
?Das kann ich Ihnen sagen: Ich verbrachte den gestrigen Morgen damit, David Dentman eine Anzeige wegen Bel?stigung gegen Sie auszureden?, antwortete er nüchtern.
Mein Lachen t?nte wie das Kr?chzen eines seltsamen Vogels. ?Machen Sie Witze? Gegen mich?? Obwohl es wehtat, tippte ich mit zwei Fingern gegen den geschwollenen Wulst an meiner Stirn. ?Er hat mich so fest geschlagen – ich denke, Sie finden noch seine DNA auf meiner Sch?delplatte.?
Strohman lehnte gelassen im Stuhl und sah ziemlich gelangweilt aus. ?Er kam Feuer und Schwefel schnaubend herein und behauptete, Sie h?tten sein Haus in West Cumberland ausfindig gemacht und seine Schwester mit Erinnerungsstücken an ihren gestorbenen Sohn drangsaliert. Er sagte, Sie schrieben ihr irgendeine Horrorstory in ein Heft, in der die beiden als Geistesgest?rte dastünden.?
Er fragte nicht, ob dies der Wahrheit entsprach, und ich verspürte den Drang, mich zu rechtfertigen. ?Das alles beruht auf einer Reihe von Missverst?ndnissen. Ich habe diese Frau nicht bel?stigt. Meine Frau und ich sind in das ehemalige Haus der beiden gezogen, in dem sie einige Sachen zurückgelassen haben. Ich wollte sie ihnen blo? wiederbringen.?
Strohman seufzte und tippte an das dunkle Grübchen an seinem Kinn. ?Es ist mir ehrlich gesagt egal.?
?Wieso sitze ich dann hier??
?Weil ich Ihren Bruder mag?, entgegnete er. ?Er ist ein guter Mann. Ich versuche, seine Familie nicht in Verlegenheit zu bringen?
?Ich kann Ihnen nicht folgen.?
?Sie sorgen für geh?rigen Aufruhr in der Stadt. Mordanschuldigungen und Stümperei bei der Polizei –?
?Ich habe nie etwas über Polizei-Stümperei gesagt.?
?Wie auch immer.? Er lie? geistesabwesend einen Zeigefinger in der Luft kreisen, um mir zu bedeuten, wie banal er die ganze Unterhaltung fand. ?Westlake ist eine kleine famili?re Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Meine Aufgabe besteht darin, für das Wohlergehen der Bürger zu sorgen. Sie haben eine Menge Fragen über Dinge gestellt, die Sie nichts angehen und manch einen brüskiert. Also dachte ich, ich gebe Ihnen die M?glichkeit, sich direkt an mich zu wenden.?
?Ich wüsste gern, weshalb die Ermittlungen zu Elijah Dentmans mutma?lichem Unfall eingestellt wurden.?
Strohman grinste; er wirkte auf schurkische Weise gutaussehend. ?Sie klingen wie Columbo.?
?Sagen Sie mir, wie kam es, dass man David Dentman so leicht vom Haken lie???
?Wieso sollte er nicht??
?Immerhin ist er vorbestraft und hat eine gewaltt?tige Vergangenheit. Er sagte aus, Elijah an jenem Nachmittag vom Haus aus im Auge behalten zu haben, aber Ihre Mitarbeiter haben etwas übersehen. So wie ich zu Beginn.? Ich führte die B?ume auf den Fotos vom See an, wobei ich geflissentlich aussparte, woher ich sie hatte. Wahrscheinlich gab es in einer überschaubaren Stadt wie Westlake nur einen einzigen Kriminalfotografen, weshalb Strohman nicht fragen musste.