Die Treppe im See(82)
?Yeah, Sie sollten nicht alles so ernst nehmen?, bemerkte Cordova beim Wiedereinsteigen. ?Und lassen Sie jemanden Ihren Kopf anschauen.?
Für einen kurzen Moment, dachte ich nicht an die Beule an meiner Schl?fe und glaubte, er rate mir zu einem Psychotherapeuten.
Ich ging den Schotterweg zum Haus und h?rte den Streifenwagen Richtung Hauptstra?e davonfahren, w?hrend mein Bruder mit seinem eindrucksvollen Erscheinungsbild auf der Terrasse nichts Gutes verhie?. Trotz der K?lte war mir so hei?, dass mein Shirt an der Brust klebte und Schwei? von meinen Achselh?hlen meinen Brustkorb hinunterlief. Meine Fingern?gel hinterlie?en sichelf?rmige Einkerbungen auf der Deckklappe meines Notizbuches. Die Realit?t verschwamm. Hier herrscht Klarheit. Mir war, als würde mein Dasein gleich enden.
Adam stand wie ein Wachposten vor der Tür. Er trug Jeans und einen wei?en Pullover mit einem Stern auf der Brust, vor der er die muskul?sen Arme verschr?nkt hatte. Sein Gesicht war das eines frustrierten Elternteils.
Ich hatte l?ngst alle Hoffnung aufgegeben, also konnte ich lachen, als ich am Fu?e der Stufen stand. Lustig war natürlich überhaupt nichts an dieser Situation, wirklich in keinerlei Hinsicht, aber ich hatte die Kontrolle verloren, und übrig blieb schlicht ein krankes, humorloses Glucksen.
?Geh ins Haus?, befahl Adam, drehte sich um und trat vor mir ein.
Beth sa? mit Jodie auf der Wohnzimmercouch. Als ich hineinkam, erhob sie sich. Sie sah nicht nur ein wenig beunruhigt aus, sondern richtig fertig, krebskrank, magersüchtig. Jodie schaute mich mit dunklen Augen an. Ein neuerlicher Lachanfall bahnte sich an. Diesmal gelang es mir, ihn zurückzuhalten, um die Situation nicht noch schlimmer zu machen.
?Travis?, begann Beth, ?was zur H?lle ist mit dir passiert??
?Lange Geschichte, aber ich bin okay. Ich muss nur mit Adam sprechen.?
?Verdammt richtig?, stimmte er hinter mir zu. Auch seiner Stimme haftete etwas Eigentümliches an. Er versetzte mir einen Sto?, welcher mich n?her an meine Frau heranbrachte.
?Alles klar bei dir, Babe??, fragte ich.
?Dein Kopf?, sagte Jodie nur. Auf dem Couchtisch vor ihr waren die Holzkl?tze zu einer Stufenpyramide aufgetürmt.
?Alles bestens, ist nur eine Beule.? Ich spürte, dass Adam und Beth wortlos miteinander kommunizierten.
Beth rieb eine meiner Schultern, dann nahm sie Jodies H?nde. ?Wir machen Kaffee und belegte Sandwiches?, erkl?rte sie, ehe sie meine Frau von der Couch aus dem Zimmer führte.
Ich blieb, wo ich war, freute mich aber nicht darüber, Adam entgegenzutreten.
Im Bauch des Hauses sprang die Heizung an.
Adam stand immer noch hinter mir, als er begann: ?Bisher wei? ich nur, dass du gestern Abend nicht nach Hause gekommen bist, und dass Doug dich gegen Morgen grün und blau geschlagen auf dem Friedhof au?erhalb der Stadt gefunden hat. Willst du das n?her ausführen??
?Gut zu wissen, dass du dich so um meine Gesundheit sorgst. Ich lebe noch, falls es dich interessiert.?
?Ja, das sehe ich. Drehst du dich jetzt endlich verdammt noch mal um??
Ich tat es.
?Ich dachte eigentlich, dass ich dich ein wenig zur Besinnung gebracht habe.?
?Nein. Du hast mir nicht zugeh?rt. Ich habe versucht es dir zu erkl?ren.? Ich war ersch?pft. Ging es nach mir, so gab es keine Schlacht mehr, die ich schlagen konnte. Meine Stimme dr?hnte wie durch einen Lautsprecher in der High School.
?Du hast nichts au?er an den Haaren herbeigezogenen Bullshit aufgetischt. Ich sagte dir, was du am besten tun solltest, aber du wolltest nicht h?ren.?
?Doch?, widersprach ich. ?Ich habe sehr wohl zugeh?rt. David Dentman fing mich in seinem Wagen ab, als ich euer Haus verlie?.?
?Und ich sch?tze, er war es, der dein Gesicht zu Matsch verwandelt hat, richtig??
?Mehr oder weniger.?
?Kein Wunder. Ich hab dich gewarnt, diese Leute in Ruhe zu lassen.?
?Aber wer kann schon vorhersagen, wie sich ein wahnsinniger M?rder verh?lt??
Adams Nasenflügel flatterten. Er nahm die Arme von der Brust und stemmte die H?nde in die Hüften. Seine Wangen waren ger?tet und ich sah seine Sehnen am Hals hervortreten. Ich wusste, dass er mich gern geschlagen h?tte. ?Das?, fuhr er fort, ?ist dein Fehler. Niemand sonst ist dafür verantwortlich. Du konntest es einfach nicht lassen. Ich habe dich gewarnt.?
?Du siehst es nicht. Wie kann es sein, dass ich der Einzige bin, der es begreift? Das alles kommt mir vor wie the f*cking Twilight Zone.?
?Es gibt nichts zu begreifen.?
?Da gibt es genügend zu begreifen.?
?Nein, du interpretierst dir zu viel zusammen. Es spielt sich alles in deinem Kopf ab. Du gaukelst dir gottverdammt nur etwas vor und glaubst fest daran. Der Junge ist ertrunken. Es war ein Unfall. Bekomm das in deinen Sch?del.?
Wei?glut packte mich. Detective Wrens Gesicht erschien auf einmal wie der Vollmond vor meinem, eine Hand auf meiner Schulter und er fragte mich zum tausendsten Mal, was mit meinem Bruder geschehen sei.
?Du liegst falsch und bist verblendet?, grollte ich.
?Gottverdammt. Du hast doch den Verstand verloren, kannst Fiktion und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten.?
?Die Wirklichkeit sieht so aus?, antwortete ich im bemessenen Ton, ?dass David Dentman seinen Neffen umgebracht hat, doch niemand will es wahrhaben.?
?Dann beweis es.? Adam schlug sich mit beiden H?nden auf die Oberschenkel. ?Wenn du dir so verdammt sicher bist, will ich einen verdammten Beweis sehen.?
?Sein Charakter beweist genug; das lausige Notizbuch deutet darauf hin.? Ich warf es durch die Luft. ?Das Haus deutet darauf hin, die Gesamtheit all der Geschichten, die –? Mein Blick blieb auf dem Couchtisch h?ngen mit den Holzkl?tzen aus meiner Kindheit beziehungsweise denen von Elijah, die immer noch eine bunte Miniaturtreppe bildeten. Ein gequ?ltes Lachen brach aus meiner Kehle hervor. ?Der Beweis steckt in diesen Kl?tzen, siehst du? Der Beweis steckt in der Treppe!?