Die Treppe im See(78)
Ich schaffte es, mich umzudrehen und ihn anzusehen. Seine Augen waren die eines Wolfes – hungrig, verzweifelt und wild. ?Die Polizei wei? Bescheid über Sie. Mein Bruder ist ein Cop. Er wei?, welcher Spur ich gefolgt bin. T?ten Sie mich, dann wird man Sie diesmal erwischen.?
Dentman packte meinen rechten Unterarm. Sein Gesicht berührte beinahe meines, sein Atem stank. Da war nicht die kleinste Regung in seinem Gesicht – weder l?chelte er, noch bleckte er die Z?hne. Nur ein starres Gesicht, starrer Mund, starrer Kiefer.
In einem vergeblichen Versuch, meine Hand zu befreien, verlor ich das Gleichgewicht und schlug mit dem Kopf gegen Elijahs Grabstein. Explosionsartig schlugen Lichtblitze vor meinen Augen Kapriolen, und mir war, als neige sich die Welt auf eine Seite. Ich dachte an Feuerwerke und Projektoren, denen die Filmrolle entglitt. Blind griff ich nach Dentmans Shirt.
Scheinbar mühelos drückte er meine Rechte auf die Erde und trat mit dem Stiefel aufs Handgelenk. ?Du d?mlicher Bastard, wenn ich dich umbringen wollte, h?tte ich es l?ngst getan.?
Er schlug mir mit der Faust ins Gesicht. Meine Augen tr?nten vor Schmerz, der sich von der Nase übers ganze Gesicht ausbreitete, ratterte wie ein rostiger Einkaufswagen mit verkrüppelten Rollen durch meinen Kopf. In diesem Augenblick war mir kaum nach Flucht zumute. Ich betete nur um einen raschen Tod ohne Pein. Alles was ich tun konnte, war den n?chsten Treffer abzuwarten.
Aber er kam nicht. Stattdessen schleifte Dentman mich an den Armen ungef?hr zwei Fu? vom Grabstein nach links und lie? mich auf die Seite w?lzen.
Ich atmete einmal tief ein. Es tat in den Lungen weh, am Brustkorb. Ich konnte die Augen nicht ?ffnen, erst als ich wieder Luft bekam. Dann wurde ich Dentmans drohender Gestalt über mir gewahr und stellte mir einmal mehr vor, wie er die Pistole zückte, die ich mir zurechtgesponnen hatte, um mich im Stil eines Profikillers mit einem einzigen gezielten Kopfschuss wegzublasen.
Endlich ?ffnete ich meine Augen ganz und rollte auf meinen Rücken. Hustete. Spuckte. Immer noch sah ich alles nur verschwommen, aber es gelang mir, den Kopf zu drehen und meinen Angreifer auszumachen.
Sein Gesicht stoisch und nicht zu deuten. Dentman ging von mir weg, au?er Atem, wie ein J?ger, nach seinem Fang.
?Was zur H?lle hast du mit mir vor?? Wir sagen solch j?mmerliche S?tze in Momenten der Verzweiflung.
Dentman h?hnte: ?Fuck, Junge. Du bist erb?rmlich. Sieh dich nur an.?
?Du kannst mich nicht t?ten.?
?Stück Schei?e.? Er kniete sich neben mich und packte erneut beide H?nde.
Am Rande meines Gesichtsfeldes nahm ich die Reflexion des Mondes auf Metall wahr, ehe etwas klimperte, als wechsle jemand Kleingeld. Als ich aufschaute, stellte ich fest, dass er mich mit Handschellen an den verdammten Eisenzaun gekettet hatte. ?Du kannst mich nicht hier drau?en lassen. Ich werde erfrieren.?
Davids breite Schultern bebten mit jedem Atemzug. Wie bei einem wutschnaubenden Stier traten aus seiner Nase Dampfschwaden aus. Dann spuckte er auf mich, drehte sich um und ging gem?chlich davon.
Ich h?rte das Knirschen seiner schweren Stiefel im Schnee. Mein Kopf schwirrte immer noch, aber ich setzte mich aufrecht hin und schaute Dentman nach. Als er au?er Sichtweite zwischen den B?umen im Finstern verschwunden war, hatte ich schon fast vergessen, wie er aussah.
Ich glaube, ich werde ohnm?chtig, dachte ich. Ich glaube, ich werde –
Dunkelheit.
Kapitel 27
Ein leichtes und undeutliches Etwas kroch lautlos neben mich. Federleicht kletterte es auf meine Brust. Hei?er Atem fuhr mir über die Stirn. Ich spürte eine Zunge, die mir die Tr?nen ableckten, die mir als hei?e Rinnsale die Wangen hinunterliefen.
?Kyle?, sagte ich.
Keine Antwort.
Als ich zu mir kam, erhob sich die Sonne gerade über den B?umen am Friedhof. Sie strahlte mir so perfekt in die Augen, wie es eben nur die Sonne vermochte. Ich fuhr zusammen und drehte den Kopf weg, wobei ich mir pl?tzlich gar nicht mehr so sicher war, wo ich mich befand. Das Sonnenlicht lie? die B?ume bluten und die schneebedeckten Hügel leuchten wie eine Supernova. In der Ferne sah ich eine Kirche, deren Turm sich gegen den blassen Himmel wie die Spitze einer Meeresschnecke ausmachte.
Als ich mich aufsetzen wollte, wurde mir so schwindlig, dass ich mich fast übergeben musste. Ich versuchte, meinen rechten Arm anzuheben, aber es ging nicht – ich war immer noch an den Zaun gekettet. Mit der freien Hand tastete ich vorsichtig meine Schl?fe ab und zuckte zusammen. Die Beule an der Seite meines Sch?dels fühlte sich wie ein Schaumstoffball an.
Die Ereignisse der vergangenen Nacht str?mten zurück in einem erstickenden Wirbelwind. Ich betrachtete meine Linke und fand sie blutverkrustet. In meiner Handfl?che klaffte eine betr?chtliche Schnittwunde, die ich mir irgendwie im Eifer des Gefechts zugezogen haben musste. Die Fingerspitzen waren blau angelaufen.
Dann realisierte ich, wie heftig ich zitterte. Ich konnte mich weder beruhigen noch auf irgendeine Weise w?rmen. Sch?tzungsweise fünf, sechs Stunden lang lag ich schon hier drau?en im Schnee. Mir war schummrig, vermutlich wegen einer leichten Gehirnerschütterung. Das Blut an meiner Hand war über Nacht getrocknet, es zog sich in breiten roten Streifen vom Handgelenk über den Arm in meine Ellbogenbeuge und war schlie?lich in den Schnee geflossen. Ich sah aus, als h?tte ich gerade ein Schwein geschlachtet.
?Fuck …?
Meine eigene Stimme zu h?ren, schickte Splitter gebrochenen Glases in die graue Substanz meines Gehirns.
Stimmen: Jetzt h?rte ich sie von fern, da n?herte sich jemand durch die B?ume. Sie waren zu dritt, und als sie n?her kamen, erkannte ich, dass es sich um zwei Polizisten handelte; der dritte Mann, so schlussfolgerte ich, war der Friedhofsverwalter.