Die Treppe im See(76)



?Dann lügt meine kleine Schwester also??

?Die Stra?e?, rief ich. ?Passen Sie auf.?

Sie zweigte ab. Dentman fuhr rechts, ohne zu blinken, wobei der Wagen fast auf einer Seite abhob. ?Was verdammt ist nur los mit Ihnen? Sind Sie pervers, oder was??

?Das alles ist ein einziges Missverst?ndnis.?

?Was ist mit dem Geschreibsel in dem Notizbuch? Ist das auch alles nur ein Missverst?ndnis??

?Lassen Sie mich einfach erkl?ren –?

?Ja, klar?, unterbrach David. ?Ich verstehe, wie es dazu kommen konnte. Ein Missverst?ndnis, eindeutig.?

?Wohin fahren wir??

?Was ist denn los?? Er zeigte aufs offene Handschuhfach, wo das Taschenbuch über die herabh?ngende Klappe rutschte, als er nochmals Gas gab. ?Sie schreiben zwar Gruselzeug, aber ich rieche, dass Sie im wirklichen Leben ein Hosenschei?er sind.?

?Halten Sie an.?

?Das macht Sie in meinem Buch zu einem Feigling.?

?David –?

?Sich der Situation nicht zu stellen, den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen … das macht einen Schlappschwanz aus.?

?Bleiben Sie stehen. Ich m?chte aussteigen.?

?Aussteigen? Jetzt? Ich dachte, Sie wollten alles über meine Familie erfahren. Sie wissen schon … für Ihr Buch.?

?Ich schreibe kein Buch. Das sind – das waren – pers?nliche Angelegenheiten.?

?Die wiederum meine pers?nlichen Angelegenheiten betreffen.? Dentman wurde laut. ?Die Angelegenheiten meiner Familie.?

?Sagen Sie mir jetzt, wohin wir fahren.?

?Ich werde Sie jemandem vorstellen.?

?Ich will niemandem vorgestellt werden. Lassen Sie mich endlich aus diesem gottverdammten Pick-up aussteigen.?

Vor uns registrierte ich ein schwaches Licht zwischen den B?umen. Ich sch?pfte neue Hoffnung, obwohl ich die Gegend nicht kannte. Zumindest aber gab es hier anscheinend andere Menschen.

Falls Adam einen Beweis dafür brauchte, dass David Dentman ein wahnsinniger M?rder war, genügte es bestimmt, wenn er meinen zerfetzten K?rper am folgenden Morgen am Rand dieser Hochstra?e durch den Wald entdeckte.

?Muss schon sagen?, fuhr er fort. Das Gaspedal hatte er mittlerweile bis zum Bodenblech durchgetreten. ?Sie beschreiben mich ziemlich ausführlich auf den Seiten dort. Nennen mich einen M?rder und so.?

?Das sind nicht Sie.?

?Nicht? Steht mein Name.?

?Wenn Sie zu verdammt bl?de sind, um zu kapieren, was ich Ihnen die ganze Zeit versuche zu erkl?ren –?

Die Bremsen des Pickups quietschten, als Dentman heftig drauftrat, und das Heck geriet ins Schlingern. Die Fliehkraft schleuderte mich gegen das Armaturenbrett. Irgendwo in meinem Hinterkopf donnerten Kanonen wie zur Feier des Unabh?ngigkeitstages. Dentman lenkte gegen, bis wir wieder in der Spur fuhren. Dabei schalt er sich leise, beinahe nicht abgebogen zu sein, und drehte das Steuer erneut.

?Sie sind ein beschissener Psychopath?, sagte ich, und zog mich wieder in den Sitz.

überraschenderweise reagierte Dentman mit einem Lachen darauf. Es klang wie das Gebell von tausend Hunden. ?Wissen Sie, was ich glaube?? Er tippte sich an die Schl?fe. ?Ich glaube Sie sind verblendet und ein Ignorant. Ich glaube, Sie sind ein egoistischer Hurensohn. Wenn man die Nase in anderer Leute Leben steckt, bekommt man irgendwann die Quittung.?

?Fahr zur H?lle.?

?Sie k?nnen sich nicht vorstellen, wie sehr Sie ihr zugesetzt haben. Sie wissen nicht, wie schwierig es war, all dies mit ihr durchzustehen. Sie dummer Wichser, Veronica liebte ihren Sohn.?

?Wie steht‘s mit Ihnen? Wie standen Sie zu dem Jungen??

?Ich werde keine Ihrer gottverdammten Fragen beantworten?, knurrte er. ?Und in Ihren Schei?büchern enden.?

?Sagen Sie mir, was Sie mit ihm gemacht haben.?

Erneut bremste Dentman, diesmal etwas vorsichtiger. Der Pick-up rollte mitten auf der Stra?e aus. Das Dr?hnen des Motors um uns flaute ab, und unser Atem beschlug die Scheiben. Die H?userlichter, die ich gesehen und auf die ich meine ganze Hoffnung auf Hilfe gesetzt hatte, waren immer noch zu weit weg. Hier hockte ich nun – umringt von B?umen – allein mit einem Kinderm?rder im Dunkel der Nacht.

?Steigen Sie aus.? Dentman hauchte die Worte blo?. Seine Augen waren nicht sonderlich gro? und standen ein wenig zu weit auseinander, schwelten aber dafür wie zwei Kohlen eingemei?elt in den scharfen Zügen einer Statue. Seine Z?hne waren klein mit Abst?nden dazwischen. Er hatte schmale Lippen, die er im Zorn schürzte.

?War es ein Unfall, oder haben Sie es absichtlich getan??, stichelte ich, wobei es mir vorkam, als lausche ich den Worten eines anderen. Ich konnte mich nicht zurückhalten. ?Kann doch sein, dass Sie es nicht beabsichtigt haben. Vielleicht sind Sie in Panik geraten.?

?Ja?, erwiderte er. ?Genau so, wie Sie es in Ihr kleines Notizbuch geschmiert haben. Jetzt raus aus meinem Wagen.?

Ich brauchte keine dritte Aufforderung, ich zog den Türgriff und sprang hinaus auf die vereiste Fahrbahn. Die Fotos von der Suchaktion der Polizei drückte ich zusammen mit dem Block fest an meine Brust. Es war kalt und klamm, aber mein Herz raste und ich schwitzte so stark, dass ich es gar nicht wahrnahm.

Dentman stellte den Motor ab und schaltete die Scheinwerfer aus. Als er ausstieg und vorne um das Vehikel herumging, war ich mir sicher, er werde eine Pistole aus dem Hosenbund ziehen und mich gleich hier am Stra?enrand ins Jenseits bef?rdern. Allzu deutlich stellte ich mir vor, wie mein Blut den Schnee tiefrot f?rbte, w?hrend die Bilder, nachdem ich sie losgelassen hatte, wie Steppenl?ufer den Weg über die verlassene, einspurige Piste bis zur n?chsten Stadt fegten.

Ronald Malfi's Books