Die Treppe im See(71)



Mein Rücken knackte beim Aufstehen. Nachdem ich Notizbücher und Beweisbilder zusammengepackt hatte, mühte ich mich die Treppe hinauf. Ein Bad, dachte ich, dann Bett. Bevor ich nach oben ging, blieb ich am Telefon stehen und starrte es an, als schulde es mir Geld. Die Uhr an der Mikrowelle hinter mir zeigte 88:88. Schlie?lich griff ich zum H?rer und w?hlte Adams Nummer.

Am anderen Ende der Leitung klingelte es, klingelte und klingelte, und niemand ging ran.

Hat sein Ger?t Ruferkennung? Ignorieren sie jetzt tats?chlich meine Anrufe?

Aus dem Spirituosenschrank nahm ich eine Flasche Wolfschmidt und machte mich davon, als h?tte ich etwas gestohlen.

Der Flur im Obergeschoss war der reinste Grubenschacht. Durch die Fenster am Ende glomm blaues Licht und zeichnete Rechtecke auf den Boden. Der Duft von Jodies Parfüm hielt sich hartn?ckig hier oben. Ich fragte mich, ob sie zurückgekehrt war, um weitere Sachen mitzunehmen.

Ich ging direkt ins Bad, schlug auf den Lichtschalter und schob die Tür mit einem Fu? zu. Nach einem Schluck zum Aufw?rmen stellte ich die Plastikflasche Wodka auf den Waschtisch und betrachtete mich im Spiegel. Ein ungepflegter, kratzender Bart, eingefallene Augen und struppiges Haar, das sich bis über meine Augen kr?uselte. Ich wandte mich angewidert ab, nur um beim Anblick von Jodies Haarklammern, die am Beckenrand lagen, meine Augen brennen zu spüren.

Dann lie? ich Wasser in die Wanne und schaute zu, wie sie immer voller wurde, w?hrend der Spiegel beschlug und das abscheuliche Monstrum darin ausl?schte. Nach einem weiteren Schluck sch?lte ich mich aus den stinkenden Klamotten und warf alles auf einen Haufen am Boden.

Jawohl, meine lieben Freunde und Nachbarn: Heute Abend lasse ich mich verdammt noch mal volllaufen.

Ich nahm den Wodka mit in die Wanne und zuckte unter dem hei?en Strahl zusammen, also drehte ich den Warmwasserhahn mit den Zehen zurück, ehe ich mich niederlie?. Dabei stockte und gluckerte und dampfte die Leitung. Das hei?e Wasser fühlte sich so gut an, dass meine verspannten Muskeln zusehends lockerer wurden.

Die Fotos hatte ich auf den Fliesen am Boden ausgelegt. Auch ihre Hochglanzoberfl?che war vor Feuchtigkeit beschlagen. Erneut kam mir das abwegige Bild des alten Lehrers mit dem kochenden Wasser vor dem Bunsenbrenner. Jefferson? Johnson? Und wenn mein Leben davon abhinge, mir wollte der Name dieses Hurensohnes nicht mehr einfallen.

Drau?en auf dem Flur, hinter der geschlossenen Tür, h?rte ich den Holzboden knirschen. Ich glaubte, durch den Schlitz unter der Tür eine Bewegung wahrzunehmen. Müde lachend trank ich noch mehr von dem ekelhaft schmeckenden Wodka und lehnte den Kopf an die Wandfliesen. Und –

Und da stand ich drau?en im Dunkel der Nacht. Windb?en peitschten auf mich ein, stachen auf der Haut und lie?en mich bis auf die Knochen frieren. Die St?rke des Windes lie? mich realisieren, dass ich gef?hrlich unstet auf irgendeinem Punkt hoch über der Welt balancierte. Als ich nach unten schaute, sah ich meine nackten Fü?e auf der obersten Stufe der Treppe im See stehen – nur war diese Treppe ein Wolkenkratzer, ein monolithischer Finger, der kerzengerade in den schwarzen, sternenübers?ten Himmel zeigte, nicht h?lzern und pyramidenf?rmig, sondern golden gedreht, spiralig wie ein Korkenzieher. Unendlich weit entfernt, silbern schimmernde Distanz, konnte ich blinkende Dioden aus Licht sehen, die Westlake darstellten.

Direkt unter mir im dunklen Wasser zappelte jemand. Ich sprang. Sauste durch die Schw?rze des Raumes … blo? war es nicht Raum, sondern auch Wasser. Ich h?rte es in meinen Ohren rauschen, als ich in die eiskalten, lichtlosen Tiefen tauchte. Ich hielt den Atem an und schwamm durch das Nichts auf ein gespenstisch schimmerndes Licht zu, wobei sich Hindernisse auftaten: B?ume. Unterwasserkiefern. Der ganze Wald war geflutet, und ich schwamm durch ihn auf das wabernde Licht zu. Hartriegel taten sich wie Zaunpf?hle auf; ihre ?ste waren unfassbar dick und schwer wie wassergetr?nkte Kissen. Lianen rankten sich wie Tentakel aus braunem Schlamm um meine Kn?chel. Schorfige Rinde zerkratzte mein Gesicht, rote Wolken f?rbten das Wasser.

Als ich durch eine Lücke zwischen den Kiefern schwamm, schwelte das Licht wie der Suchscheinwerfer eines versunkenen Kriegsschiffes, allerdings unheimlich grün. Es ging voran, doch meine Lungen brannten und drohten zu zerrei?en. Auf einmal bekam ich ein teigiges, formbares Etwas zu fassen. Ein K?rper trieb an mir vorbei. Seine Augen drückten sich wie Quallen aus ihren H?hlen, das Haar wehte wie eine Schwade Seegras, die sich in der Str?mung bewegte, und die Stirn durchzog ein runzlig dunkelroter Kamm –

Schreiend fuhr ich hoch, hellwach. Mein Herz arbeitete auf Hochdruck wie ein Stabmixer beim Pürieren. Die Wanne war nahezu voll, und die Wodkaflasche trieb zwischen den angezogenen Knien. Meinen Oberk?rper seitlich aus dem Wasser lehnend keuchte ich in tiefen unkontrollierten St??en. Ich klaubte die Fotos vom Boden zusammen und wischte darüber. Wieder betrachtete ich das mit den Polizisten, die über den Rasen zum Haus gingen, danach das mit Veronica im Geh?lz.

Die B?ume.

Ein Lachen kitzelte in meiner Kehle.

Und dann wurde alles klar, als das fehlende Puzzleteil schlie?lich laut einrastete.

Das Ger?usch war nahezu ohrenbet?ubend.





Kapitel 25




Adam ?ffnete mir im Bademantel und mit Hausschuhen. Sein Haar war ein Durcheinander gekr?uselter Locken, die am Hinterkopf klebten und sicherlich hatte ich ihn gerade aus dem Schlaf gerissen. Er brummelte etwas – zwischen allerlei Unverst?ndlichem fiel auch der Name meiner Frau –, doch ehe er ausgesprochen hatte, stürmte ich an ihm vorbei ins Haus. Meine Stiefel hinterlie?en nasse Bananenabdrücke auf dem Hartholz.

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