Die Treppe im See(69)



?Ich gehe jetzt?, lie? ich sie im Aufstehen wissen und griff nach meinem Parka. ?Sie sind ersch?pft.?

Sie blinzelte, ehe sie die w?ssrigen Augen wieder schloss.

?Haben Sie Schmerzen??, wisperte ich.

?Immer …?

?Soll ich die Schwester rufen??

?Wozu? Damit sie mir sagt, dass ich sterbe? Das wei? ich schon.? W?hrend ich das Oberteil anzog, ging ich zur Tür. ?Ich danke Ihnen, Althea, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ich wünschte, wir h?tten uns unter anderen Umst?nden getroffen.?

?Versprechen Sie mir etwas?, bat sie. Mit einigem Abstand zum Bett klang ihre Stimme kaum lauter als das Rascheln eines Papiertaschentuchs.

?Was Sie wollen?, entgegnete ich und wartete darauf, dass sie weitersprach, doch was ich als N?chstes h?rte, war gehauchter Atem, w?hrend sie in die Bewusstlosigkeit abglitt.





Kapitel 24




Mehrere Meilen, nachdem ich Frostburg hinter mir gelassen hatte, warf die Sonne tief über der Landschaft goldene Streifen auf die zugefrorenen Bergh?nge. Wie Satzzeichen kauerten winzig kleine V?gel auf den Stromleitungen. Da die Erinnerungen an die Begegnung mit Althea bereits verblassten, kehrten meine Gedanken an die Geschehnisse der letzten zwei Monate in der Waterview Court 111 zurück – ich hatte mit der L?sung des R?tsels begonnen, das mit dem verh?rteten Verdacht, David Dentman habe seinen Neffen ermordet, sowie weiteren unerkl?rlichen Vorg?ngen, die aufgekommen waren. Diese umspannten die Zeit seit meiner ersten Nacht im neuen Haus, als ich jemanden barfu? über den Flur huschen geh?rt hatte.

Altheas Geschichte von dem Geisterm?dchen machte mir weniger Angst, sondern sorgte dafür, dass ich mich mit Unverst?ndnis plagte, das meine Eingeweide wie ein hitziger Parasit rumoren lie?. Deutete ich jene n?chtlichen Ger?usche falsch, genauso wie den Handabdruck an der Kellerwand und die seltsamen Wasserflecke auf dem Betonboden, die einem Kinderfu? viel zu ?hnlich sahen? Die volkstümliche Kultur lehrt uns, Geister seien rastlose Gesch?pfe im Sinnen nach Sühne und Rache an denjenigen, die ihnen Schlechtes angetan haben, aber ist das alles nichts als Nonsens? Ich konnte nicht anders, als mir Altheas Worte abermals vorzusagen: Ich würde gern glauben, dass sie mit mir fühlte, weil ich in jenem Sommer so allein war und mich nach Freundschaft sehnte. Falls dem so war – entging mir irgendetwas inmitten des Wirrwarrs um Elijah und David?

Früher oder sp?ter musste ich an Jodie denken. Ich war du. Mein Interesse an den Dentmans hatte sie bereits so aus der Fassung gebracht, dass sie zu meinem Bruder gezogen war. Dafür verachtete ich mich.

Kann ich die Angelegenheit nicht einfach vergessen? Ich will das Handtuch werfen und dieses angebliche Mordmysterium als Debakel abhaken, die R?umungsfirma wieder anrufen, um Elijahs Sachen aus dem Keller zu schaffen, und meine gottverdammten Notizbl?cke vernichten. Kann ich es nicht einfach von mir weisen und zulassen, dass mein gemeinsames Leben mit Jodie seinen geregelten Lauf nimmt?

Nein, ich glaubte nicht, dass ich es vermochte. Ferner war mir, als stünde es mir überhaupt nicht zu.

Als ich die Vororte von Westlake erreichte, bremste ich hinter einer kurzen Autoschlange, die sich vor einer Ampel gebildet hatte. Ich streckte mich zur Seite, klappte das Handschuhfach auf und kramte darin herum, bis ich einen Stift und einen Streifen Papier in der Hand hielt, der sich als Rechnung für Bürobedarf erwies. Auf die Rückseite schrieb ich: Es hei?t, die Natur kenne kein Aussterben. Es war der perfekte Einleitungssatz für meinen Roman Floating Staircase - Die Treppe im See, falls ich ihn je vollendete.

Als die Ampel auf Grün schaltete, hupte der Fahrer hinter mir.

Schreckhaft, wie ich war, durchfuhr es mich, als h?tte jemand einen Schuss abgegeben. Ich stand kurz davor, etwas Unfassbares ans Tageslicht zu bef?rdern, das wusste ich ohne Frage, obwohl ich keine Ahnung davon hatte, weshalb ich mir so sicher war. Auf dem restlichen Weg gab ich ordentlich Gas.

Das Haus war ein finsterer Kasten. Der Schnee hatte im anhaltend milderen Wetter zu schmelzen begonnen. Am Rand unseres Grundstücks zeigte sich vereinzelt graues Gras. W?hrend ich den Schotterweg hinauffuhr, streiften die Hartriegel den Honda zu beiden Seiten. Einen winzigen Rest Hoffnung hegte ich, Jodie wartete zu Hause, aber der nüchterne Teil meiner selbst in mir wusste, dass dies nicht der Fall war. Sie konnte stur sein und hielt sich bestimmt an ihren Entschluss.

Nachdem ich ausgestiegen war, blieb ich stehen und betrachtete das Haus, als w?re es wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht. Der schmelzende Schnee lastete schwer auf dem Vordach, und die Fenster sahen aus wie mit Sand überzogen.

Ich werde verhindern, dass meine Ehe wegen diesem Bullshit zerbricht, nahm ich mir vor. Die Entrümpler anzurufen, die unseren Keller von Elijahs Zeug befreien sollten, hatte ich fest eingeplant. Danach würde ich hinüber zu Adam gehen und mit Jodie sprechen.

Hinter dem Haus machte ich mich auf den Weg zwischen den kahlen B?umen hindurch zum See. Die Kiefern um mich herum schienen verschw?rerisch zu tuscheln. Als das Gew?sser in Sicht kam, blieb ich stehen. Es war, abgesehen von einer Scholle in der Mitte, die von den Umrissen her an den Staat Texas erinnerte, mittlerweile aufgetaut. So sah ich wirklich zum ersten Mal das Wasser. Es schimmerte im Licht des Mondes.

Wirf einen Anker aus, h?rte ich meinen Therapeuten.

?Sei verdammt noch mal still?, fuhr ich die Stimme an, kehrte um und ging zum Haus zurück.

Drinnen war es verflucht kalt. Die Dunkelheit drückte von drau?en gegen die Fenster. Ich schaltete wenige Lichter ein. Ich ging in den Keller und holte Earls Fotos von der Suchaktion der Polizei und h?ngte sie mit Magneten an die Kühlschranktür. Nachdem ich mich mit kaltem Hühnchen auf dem Scho? am Boden niedergelassen und an die Küchenwand gelehnt hatte, musterte ich gründlich die Motive. Etwas in diesen Szenen entging mir. Es war wichtig, entzog sich jedoch meiner Wahrnehmung.

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