Die Treppe im See(84)
Wirf einen Anker aus.
Ich hielt den Griff fest umschlossen, beugte mich über die ?ffnung und rammte den Kopf der Axt ins Wasser. Ich wollte die ganze gottverdammte Treppe falls n?tig auseinandernehmen, mit blo?en H?nden, meinen gefrorenen Fingern, meinen blutigen Fl?chen, einfach um ihn zu retten, um meinen –
Das Blatt traf auf einen Widerstand, wobei irgendetwas voneinander getrennt wurde.
Was auch immer es war: Es schabte beim Auftauchen am Griff. Ich starrte verbissen in die brackige Brühe, auf dass es endlich auftauchte. Und wartete.
Als es so weit war, ragte es mitten in den Resten der Stufe heraus und trieb innerhalb des Rechteckes an der schwarzen Oberfl?che.
Es trieb.
Meine H?nde erschlafften, die Axt rutschte ins Wasser. Ich konnte meine Augen nicht von diesem Ding im Wasser abwenden. Ein gebrochener Mann war ich, benommen und unterkühlt, verloren im Taumel meiner Paranoia. Ich starrte es an, und niemand konnte es mir nehmen oder leugnen, was es war …
Ein Torso.
Teil vier.
In die Tiefe
Kapitel 29
Da sind Lichtf?den, die wie Saphire glimmen. Geruhsam vollziehe ich nach, wie die zw?lf Finger meiner Hand Schlieren in den ?ther zeichnen. Der Ort, an dem ich mich befinde, liegt fernab der bewussten Wahrnehmung. Ich sitze in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, am Küchentisch und schaue meiner Mutter beim Zubereiten von Geflügel mit Erbsen und Knoblauch zu. Dabei summt sie leise vor sich hin und merkt gar nicht, dass ich sie beobachte, denn ich bin ein Geist, ein Schemen oder Schatten. Willentlich begab ich mich auf die andere Seite, tauschte mein heutiges Ich gegen ein früheres ein und beanspruchte einen Platz an der Tafel der ewig Abk?mmlichen, auf immer Verdammten.
Getrappel auf dem Holzboden, ein Flüstern wie herabsinkende Spinnweben. Was ist das Entsetzlichste, das du je getan hast?
Ich trotte auf einem Wüstenhighway voran. über dem kochenden Asphalt wabert die Luft, und bei jedem Schritt bleibt Teer wie geschmolzene Kamellen an meinen Sohlen kleben. Der Blick zum Horizont schmerzt. Wirre Büschel von Unkraut scheinen mitten aus der Fahrbahn zu sprie?en, doch beim N?herkommen stelle ich fest, dass es sich in Wirklichkeit um Haare handelt. Menschen liegen unter dem hei?en Stra?enbelag, und nur ihre Sch?deldecken treten wie Rücken von Buckelwalen hervor. Ich kann sie beim Schopf packen und an den sonnenwarmen, spr?den Str?hnen ziehen. Einem Loslassen, der Kapitulation kommt es gleich, als der klebrige Asphalt aufweicht und die eingesunkenen Leichname aus ihrer Gefangenschaft entl?sst. Der Teer schl?gt gurgelnd Blasen, stinkt ?tzend nach Methan.
Wie sich herausstellt, fehlt jeweils der Rest des K?rpers unterm Skalp von den Augenbrauen abw?rts. Jedes Mal, wenn die Stra?e einen freigibt, stolpere ich rückw?rts, weil ich zu kr?ftig ziehe, und falle hart auf den Boden.
Irgendwo, sinne ich, gibt es ein unermessliches, r?tselhaftes Meer, in dem Menschen gegen das Ertrinken ank?mpfen, w?hrend das Farbenspiel auf dem Wasser sie wahnsinnig macht.
Ich wandere auf dem Wüstenhighway und pflücke Kopfh?ute vom Boden wie ein Nomade, als seien sie Troph?en.
Gegen Ende der Woche wütete das Fieber seinem Ende entgegen.
Jodie machte gerade den Küchenherd sauber. Sie wirkte überrascht, als ich im Türbogen stand. ?Ich wollte dir gerade Suppe kochen.?
Ich trat zu ihr hin, nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Bald darauf war mein Hals feucht von ihren stummen Tr?nen.
Dienstags kamen zwei M?nner in marineblauen Overalls mit einem Lastwagen, an dessen Seite in grell orangefarbenen Buchstaben von gut einem Fu? H?he Allegheny Umzugshilfe & H?userr?umung prangte.
?Was ist das??, fragte der dickere der beiden. ?Eine Art Geheimgang??
Ich schaute zu, wie sie Elijah Dentmans Sachen heraustrugen, sein Bücherregal, den Schreibtisch, die Spielzeugtruhe und das Bettchen. Mit einigen Kisten half ich ihnen. W?hrend ich sie auf die Ladefl?che schob und sich das Zimmer im Keller zusehends leerte, stellte sich Erleichterung ein.
?Wohnt Ihr Kind hier unten??, wollte der andere M?belpacker wissen. Weil ich ihm nicht antwortete, vermutete er bestimmt das Schlimmste, den Rest der Stunde arbeiteten sie in aller Stille weiter.
Nachdem sie aufgebrochen waren, schaute ich eine Weile in den leeren Raum. Es kam mir vor als blicke ich in meinen Sarg. Als Jodie neben mir auftauchte, fragte ich mich, ob sie genauso empfand – oder sah sie ebenfalls meinen Sarg? Sie streichelte meinen Rücken und reichte mir mit der anderen Hand einen hei?en Tee, ehe sie meine Stirn befühlte, um sich zu vergewissern, dass das Fieber nicht wieder schlimmer geworden war. War es nicht.
W?hrend sie das Loch gern versiegelt h?tte, kam mir eine bessere L?sung. Ich riss die W?nde, diese schmucklosen Gipsplatten, allesamt ein. Vor allem wegen derjenigen mit dem graugrünen Handabdruck war ich besonders froh darüber. Am Ende war ich v?llig in wei?en Staub gehüllt. Jodie lachte und behauptete, ich s?he aus wie ein Pantomime.
über das, was passiert war, nachdem mich die Cops an jenem Tag zu Hause abgesetzt hatten, redeten wir nicht. Zwei Wochen war es mittlerweile her. Das Bild ihres Ehemannes, der die Treppe mit der Axt kurz und klein schlug, hatte sich gewiss für lange, lange Zeit ins Ged?chtnis meiner Frau eingebrannt, doch sie schaffte es alles hinter sich zu lassen, und liebte mich wieder. Es war eine fürchterliche Erfahrung, die notwendig gewesen war. Die Offenbarung jenes Tages hatte mich zurück auf den Boden der Tatsachen geholt, und genau dies hatte ich gebraucht. Ich brauchte Gewissheit, ob ich recht oder unrecht hatte.