Die Treppe im See(88)



Adam schrie etwas Unverst?ndliches und stemmte sich von oben gegen Dentmans Schulter, als befürchte er, der Brocken k?nne davonfliegen. ?Unten bleiben. Keine Dummheiten.?

Dann sah ich Handschellen. Die geriffelten Manschetten ratterten im Kreuz des Mannes.

Tooey stürmte hinterm Tresen hervor. ?Was ist los?? Er hielt inne, als er die Handschellen sah.

?Aufstehen?, befahl Adam Dentman von hinten.

Zuerst bewegte er sich nicht. Als mich seine Augen wie zum Duell herausfordernd fixierten, vibrierten seine ger?teten Wangen sichtlich, rechnete ich damit, dass wir alle so verharren müssten, bis der Weltuntergang hereinbrach und uns zu Staub zerbr?seln lie?. Dann aber stützte Dentman einen Fu? auf den Boden und stand auf, wobei Adam ihm half.

Tooey bewegte sich als N?chstes; er eilte herbei und stellte den umgeworfenen Tisch wieder auf.

Adam drehte sich um und führte David Richtung Tür. ?Gehen wir, Travis?, sprach er, ohne mich anzuschauen. ?Los.?

Ich bückte mich nach den Kopien des Bauunternehmens und steckte sie zurück in den Umschlag. W?hrend Tooey die Stühle am Tisch zurechtrückte, entdeckte ich noch etwas – die Nachricht, die ich in Dentmans Briefschlitz gesteckt und die er zerknüllt in der Faust mitgebracht hatte. Ich nahm sie ebenfalls mit.

Darauf stand:

David, komm morgen gegen siebzehn Uhr nach Westlake ins Tequila Mockingbird, oder Veronica wandert in den Knast.

Ich hatte sie nicht unterschreiben müssen.

Nachdem ich den Zettel in die Ges??tasche meiner Jeans geschoben hatte, folgte ich Adam und David hinaus in den Regen.





Kapitel 31




Wie sich herausstellte, fungierte Strohmans Büro tats?chlich auch als Verh?rzelle, wenngleich nur dann, wenn die eigentliche besetzt war. An jenem Abend führten zwei Uniformierte David Dentman in den wenig einladenden Verschlag, wo ihn Paul Strohman h?chstpers?nlich erwartete.

Vom Mockingbird bis zur Polizeistation waren wir nur vier, fünf Minuten gefahren, obwohl es mir fast wie eine halbe Stunde vorgekommen war. Adam hatte Dentman auf den Rücksitz gezwungen und mich dazu angehalten, vorne Platz zu nehmen. Nachdem er eingestiegen war, hatte Adam den Schlüssel umgedreht, dann Blaulicht und Sirene eingeschaltet. Geredet wurde nicht, bis wir auf dem Parkplatz vor der Wache eintrafen, wo Adam leise ?Steig aus? zu mir sagte.

Als ich nun auf dem Flur vor Strohmans Büro sa?, h?rte ich, wie einer der Beamten Dentman seine Rechte vorbetete. Jedes Mal, wenn Adam an mir vorbeiging, versuchte ich halbherzig, aufzustehen und nicht fehl am Platz zu wirken, doch stets deutete er mir, ich solle sitzenbleiben, also blieb ich sitzen.

Einer der beiden Uniformierten kam heraus. Er wirkte perplex, mich zu sehen, seine Augen traten komikhaft hervor. Es war offensichtlich, dass ich hier nichts verloren hatte. Jemand anders kam vorbei und reichte mir wortlos einen Becher Kaffee.

Zwei weitere Beamte erschienen am Ende des Flurs. Sie führten Veronica Dentman her, ein wandelndes Gerippe. Sie trug ein zerschlissenes Baumwollnachthemd in verwaschenem Rosa und ansonsten nur noch ein Paar verschmutzte Socken. Sie führten sie wie Krankenpfleger einer Psychiatrie den Gang entlang. Die wirren Haare hingen in filzigen Str?hnen in ihr ausgemergeltes Gesicht, und die Augen waren eingesunkene Gruben in der Mitte ihres Sch?dels. Als sie passierten, machten ihre Socken ein kratzendes Ger?usch auf dem Brandschutzteppich. Ich roch die strenge Note von ungewaschener Haut.

Ich fuhr auf wie vom Blitz getroffen und verschüttete dabei fast den Kaffee. Hinter ihnen zog etwas einher, ich fühlte mich von einer Pr?senz gestreift – beinahe greifbar, beinahe sichtbar. Kalt wie der Keller von Waterview Court 111. Es beschwor den Gedanken an abgestorbenes Herbstlaub und unge?lte Türscharniere in heimgesuchten H?usern herauf.

Die Bürotür ?ffnete sich und ich erhaschte einen Blick auf mehrere Personen – darunter auch David Dentman –, bevor Strohman sie rasch hinter sich zumachte. Er hielt den Dienstplan mit der Anwesenheitsliste in der Hand, die jetzt am Rand mit messingfarbenen Heftklammern zusammengehalten wurde. Als er mich dort stehen sah, musste er zweimal hinschauen, wobei die Gummisohlen seiner Schuhe auf dem Linolboden quietschten. ?Sagte ich Ihnen nicht, Sie sollten sich aus meiner Arbeit heraushalten?? Er hielt mir die zusammengehefteten Papiere vor.

Bevor ich wusste, wie ich antworten sollte, machte er auf dem Absatz kehrt und schritt den Flur hinunter in ein anderes Zimmer, wo er barsch nach Kaffee verlangte.

Als Adam zurückkehrte, begleitete ihn ein zweiter Beamter, der eine Skimütze und eine Jacke der Redskins über seiner Uniform trug. ?Das ist Officer McMullen?, stellte mein Bruder ihn vor. ?Er wird dir ein paar Fragen stellen.?

?Ich glaube, euerem Chef w?re ich schweigend lieber?, bemerkte ich.

?Nennen Sie mich Rob?, bot McMullen an, statt auf meine Worte einzugehen. Er hatte hohle Wangen und Augen wie graues gesplittertes Eis. Dabei wirkte er jung genug, um noch den Geruch der Geb?rmutter an sich zu haben. ?M?chten Sie mehr Kaffee? Nein? Reden wir am Automaten weiter, ja??

Ein Rundtisch mit Stühlen, die am Boden mit Stahlschrauben fixiert waren, stand unten im Flur. Der Kaffeeautomat dahinter sah aus, als sei er seit dem Vietnamkrieg nicht mehr erneuert worden.

Wir setzten uns und McMullen zog einen Spiralblock aus der Brusttasche seines Hemdes. über jede Frage, die er mir stellte, schien er sich eine Menge Gedanken zu machen, wobei es in erster Linie darum ging, wie ich an die Dokumente der Baufirma gekommen war. Ich antwortete so wahrheitsgem?? wie m?glich, ohne Earl Parsons Namen preiszugeben. McMullen schien sich ohnehin nicht dafür zu interessieren; stattdessen sorgte er sich um die rapide abstumpfende Spitze seines Bleistiftes.

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