Die Treppe im See(90)



?Das wird auch nichts bringen?, sagte irgendjemand. ?Schau sie dir an. Da bekommt man mehr Antworten von einem Telefonmast.?

?Ich wette, sie wei? überhaupt nicht, was passiert ist.? Das kam von McMullen, der neben der Tür stand und sich ins Getuschel seiner Kollegen einmischte.

Wenige Minuten sp?ter langweilten sie sich. Irgendjemand wollte etwas von Kuchen im Aufenthaltsraum wissen, das wirkte wie Feuer unter ihren Hintern.

Ich beobachtete ihre Umrisse, wie sie aus dem Dunkeln hinaus auf den Flur gingen. Vor mir hockte Veronica reglos und allein am Holztisch im Verh?rzimmer.

?Was wird mit ihr geschehen??, fragte ich McMullen, der mit dem Hinausgehen wartete.

?Wei? nicht?, gestand er. ?Kommen Sie! Folgen Sie mir.?

Drau?en auf dem Gang herrschte reges Treiben. Sehr wahrscheinlich war das Department lange nicht mehr so umtriebig gewesen. Im Getümmel stie? ich gegen Adams Schulter, als er an mir vorbeiging.

?Ich rief Beth an und sagte ihr, sie solle Jodie Bescheid sagen?, bemerkte er, ohne stehen zu bleiben. Er ging neben mir her mit zwei anderen Beamten. ?Ich meinte zu ihr, du seist hier, um mir bei etwas zu helfen, und dass du sie sp?ter zurückrufen wirst.? Er hielt sich den gespreizten Daumen ans Ohr und den kleinen Finger an den Mund, ehe er in einem anderen Zimmer verschwand.

?Kann ich irgendwo telefonieren??, fragte ich McMullen, der seinen Mitarbeitern in den Aufenthaltsraum folgte.

?Herrgott!? Er blieb stehen, stemmte die H?nde in die Hüften und leckte wie ein Hund den Schwei? von seiner Oberlippe. Er sah wie ein Achtzehnj?hriger aus. ?Die Büros sind alle belegt.? Dann leuchteten seine Augen auf. ?Ach, wir k?nnten zu Mae gehen.?

Mae war die kleine, gedrungene Frau, die Strohman und mir an dem Tag Kaffee gebracht hatte, als ich vom Friedhof hierher gebracht wurde. Sie sa? vor ihrem Computer in einer Mischung aus Abfertigungsstelle und Sekretariat. Eine Reihe Telefone standen auf einer Bank, deren H?rer alle eine mit ehemals roter Flüssigkeit aufgemalte Ziffer trugen.

Rob schwenkte einen Arm über die Ger?te, deutete an, jedes davon erweise mir nur zu gern seine Dienste. ?Mit der Neun w?hlen Sie sich nach drau?en?, bemerkte er, bevor er verschwand.

?Hey?, grü?te ich, als Jodie zu Hause abhob. ?Es wird sp?t, also dachte ich, ich rufe besser an. Hat Beth mit dir gesprochen??

?Sie meinte, du seist mit Adam auf dem Revier. Stimmt es, dass man jemanden unter Mordverdacht festgenommen hat??

?Keine Ahnung. Hier werden ein paar Leute verh?rt.?

?Womit hilfst du Adam??

?Na ja, ich gelte wohl gewisserma?en als Zeuge.?

?Geht es um den ertrunkenen Jungen??

Ich schloss die Augen und sagte: ?Ja.?

Am anderen Ende der Leitung herrschte l?ngeres Schweigen. Ihre Miene wollte ich mir nicht ausmalen. Befürchtete sie, ich würde wieder rückf?llig?

?Bist du okay??, fragte sie schlie?lich.

?Ja, und du??

?Mir geht‘s gut, wenn es dir gut geht.?

?Ich bin okay.?

?Wann kommst du heim??

?Wei? nicht. Ich bin mit Adam hergefahren. Unser Wagen steht noch vorm Mockingbird, also muss ich mich nach Adam richten.?

?Soll ich dich mit Beth abholen??

?Nein?, antwortete ich. ?Bleib ruhig daheim. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es allzu sp?t wird.?

?Okay. Ich liebe dich.?

?Liebe dich auch.? Und legte auf.

?So nett?, bemerkte Mae und strahlte mich an. Sie hatte Lippenstift an ihren Z?hnen. Ihr silbernes Haar hatte sie zu einem Nest am Hinterkopf zusammengebunden. ?Ihre Frau??

?Ja. Darf man hier irgendwo rauchen??

?Drau?en auf der Treppe.?

Am Eingang des Westlake Police Departments, frierend und nass, rauchte ich gleich mehrere Zigaretten, als harre ich meiner Hinrichtung. Windb?en lie?en die B?ume in der Umgebung wie das Meer rauschen. Der Himmel, ein schwarzes Netz, in dem Sterne hingen.

Kurz vor elf kam Adam durch die Tür und blieb hinter mir stehen. Sein Schatten fiel über mich. Ich sa? auf den Betonstufen, zitternd in meinem Parka, und arbeitete mich zur letzten Zigarette vor. Die Parkplatzbeleuchtung tauchte das Pflaster des Gehwegs am Geb?ude in unnatürlich orangefarbenes Licht.

?Hast du eine für mich??

?Du stehst doch nicht auf Menthol?, warnte ich ihn und h?ndigte ihm dennoch die letzte aus.

Er steckte sie an und hustete beim Inhalieren. Dann lehnte er sich ans Gel?nder und sagte: ?Ich habe viel über jenen Sommer nachgedacht.?

Er musste nicht weiter erkl?ren, was er meinte.

?Vielleicht liegt es daran, dass du hergezogen bist, oder weil sich die Ereignisse in letzter Zeit überschlagen. Ich wei? es nicht.?

Er zog fest an der Zigarette. Seinen Kopf umgab eine Aura kalt orangefarbenen Scheins.

?Verdammt?, fluchte Adam, nachdem er die nur halb gerauchte Kippe mit dem Stiefel zertrat. ?Lass uns hier verschwinden.?

Auf der Fahrt zurück fragte ich ihn, was als N?chstes geschehen würde.

?Wir werden sie über Nacht festhalten. Der Bezirksstaatsanwalt wird klare Aussagen verlangen, bevor er weitere Schritte einleitet.?

?Wird das klappen??

?Mit den Aussagen?? Da war eine nicht zu überh?rende Resignation in der Stimmlage meines Bruders. ?David wird dichthalten, und Veronica ist sowieso von allen guten Geistern verlassen. Selbst wenn sie irgendetwas gesteht, wird es erst wasserdicht, sobald ihr Bruder etwas ?u?ert, das sich mehr oder weniger damit deckt. Weiters müssen wir die Aufzeichnungen der Baufirma einholen, was eine Weile dauern wird.?

?Aber ihr habt sie doch.?

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