Aschenpummel (German Edition)(40)
Sie war mittelgroß und schlank, die übereinandergeschlagenen Beine waren braun gebrannt und kaum von einem Minirock bedeckt. Ihre weiße, ärmellose Bluse war so weit geöffnet, dass sie guten Ausblick auf ein üppiges Dekolletee gab. Aber das Schönste war ihr Gesicht. Ingrid Bergman, nur mit Sommersprossen. Ich hätte alles, alles dafür gegeben, so auszusehen wie diese Frau, die wahre Frau des Piraten.
»Frau Kis«, begrüßte mich der Pirat in dem Moment. »Wie schön, dass Sie gekommen sind.«
Ingrid Bergman hüpfte vom Schreibtisch und kam auf mich zu. »Hallo, ich bin Gisela.« Ihre Hand war glatt und kühl, ich schüttelte sie lange und wollte gar nicht mehr loslassen. Das also ist die berühmte Ausstrahlung, von der in Büchern immer die Rede ist. Aber diese Frau strahlte nicht einfach nur, es war, als würde sie von innen her leuchten.
Wie hatte ich nur annehmen können, dass der Pirat sich jemals für mich interessieren könnte, wo er eine Frau daheim hatte, die schimmerte, als wäre in ihrem Kopf eine Kerze angezündet worden.
»Ich bin Teddy«, sagte ich tonlos und ließ ihre Hand schließlich doch los.
Gisela lächelte extralieb. »Hallo Teddy, es freut mich sehr, dich kennenzulernen. Wir sagen einfach »du« zueinander, okay?«
»Okay«, flüsterte ich. Warum waren seit Neuestem alle diese Traumfrauen so nett zu mir?
»Ich bin lesbisch, Teddy.«
»Oooooh«, machte ich und runzelte die Stirn. Interessanterweise war meine Schlussfolgerung daraus, dass der Pirat dann schwul sein musste. Wahrscheinlich fügte ich deswegen ein »Ich verstehe« hinzu, obwohl ich in Wirklichkeit überhaupt nichts mehr verstand.
»Sigi hat mir von dir erzählt, und ich möchte dich gerne zu meiner Gruppe einladen.«
»Gruppe?«
Der Pirat räusperte sich. »Gisela leitet eine Selbsthilfegruppe für lesbische Frauen.«
Gisela gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Teufel, was bist du für ein Idiot, Sigi. Selbsthilfegruppe ist natürlich Schwachsinn, wir sind glückliche, gesunde Frauen, die sich einfach einmal in der Woche treffen, um ein bisschen zu quatschen.« Sie wandte sich mir zu und meinte heiter: »Männer, tsssss.«
Der Pirat lachte leise, ich verstand noch weniger als zuvor, musste aber dringend meine Frage anbringen. »Herr Nemeth, sind Sie schwul?«
Er hob die Augenbrauen, schüttelte den Kopf und sagte dann: »Nein, es … es tut mir sehr leid.«
»Ich wollte dich keineswegs überfallen, Teddy«, meinte Gisela sanft.
Ich schüttelte den Kopf. Langsam sah die Sache wieder richtig gut aus. Ingrid Bergmann war lesbisch, der Pirat war nicht schwul und von irgendeiner Piratenbraut war auch keine Rede mehr.
»Dann sind Sie – bist du also gekommen, Gisela, weil ich lesbisch bin?«
Sie zuckte mit den Schultern, schien amüsiert zu sein. »Ich weiß nicht«, entgegnete sie. »Bist du’s?«
Ich wusste nicht warum, doch ich wollte nicht gleich mit der Wahrheit herausrücken, stattdessen sagte ich: »Könnten wir uns kurz alleine unterhalten, Gisela?«
Beflissen öffnete der Pirat die Tür zu dem Eisentischzimmer, wir gingen hinein, und er schloss sie hinter uns.
Gisela und ich waren allein. Ich starrte auf ihr Dekolletee, sie legte den Kopf schief und lächelte mich an. Was jetzt … gefiel ich ihr?
»Ähm …«, begann ich, souverän wie immer.
Sie kicherte und flüsterte: »Du bist komplett verknallt in ihn, nicht wahr?«
»Äh, ich … äh, vielleicht …«
»Vielleicht? Die Untertreibung des Jahres. Die Liebe springt dir ja geradezu aus den Augen.«
»Dann weißt du also, dass ich nicht … naja –«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach komm, hältst du mich für blöd?«
»Wieso glaubt er, dass ich lesbisch bin?«
»Weil er ein absoluter Hornochse von einem Mann ist. Teddy, der sieht ein Mädchen, das nicht allzu viel aus sich macht, sich ein bisschen unwohl in seiner Haut fühlt, das ihn an ein anderes Mädchen erinnert, das er mal gekannt hat, und schon ist die Geschichte für ihn klar.«
Aha, so war das also. Für ihn war ich ein hässliches Entlein, an dem das einzig Interessante war, dass man es retten konnte, indem man ihm klarmachte, dass es zu seiner Homosexualität stehen müsse. Der Pirat, der große Retter mit dem Helfersyndrom. Und ich hatte mir eingebildet, dass er sich in mich verlieben könnte, dass er mich begehrte. Mein Herz fühlte sich an, als hätte es jemand gepackt und ausgepresst. Mir wurde so schwindelig, dass ich mich auf die Tischplatte fallen lassen musste. Das Eisen quietschte, es klang wie ein empörter Schrei.