Aschenpummel (German Edition)(38)



»Thaddäa, fahr endlich!«, schrie meine Mutter mich an. Ich malträtierte das Zündschloss bis zum Gehtnichtmehr. Meine Hände zitterten, der Scheibenwischer ging an. Mama packte mit beiden Händen das Lenkrad und riss es in ihre Richtung, was zur Folge hatte, dass das Lenkradschloss einrastete. Mein Hirn spulte sämtliche Kettensägemassakerstreifen und sonstige Schocker ab, in denen ein fehlender Zündschlüssel, durchdrehende Reifen oder simpler Benzinmangel die rettende Flucht verhinderten. Ein Schweißtropfen lief mir ins linke Auge, während ich verzweifelt versuchte, Mamas Hände vom Lenkrad zu lösen. Artikulieren konnte ich mich längst nicht mehr. Mama schrie. Automatisch flog mein Blick zur Hütte, da, die Tür bewegte sich, jetzt schrie auch ich.

»Fahr, Thaddäa!«

Ich kniff die Augen zu und drehte ein letztes Mal am Schlüssel. Der Fiat tuckerte an. Das Überraschungsmoment nutzend, stieß ich meiner Mutter den Ellbogen in die Seite, woraufhin sie endlich das Lenkrad losließ. Ich löste die Lenkradsperre, und wir rasten im Rückwärtsgang den Feldweg entlang, mit quietschenden Reifen schossen wir auf die Straße hinaus. Meine Mutter griff sich ans Herz. »Elendiger –«, stöhnte sie mit erstickter Stimme. »Ich sterbe, ich sterbe –«

»Mama …«

»Ich sterbe … mein Herz …«

»Ich ruf die Rettung!«

»Nein! Willst du mich umbringen? Gott, der Herr, versteht mich denn niemand? Bring mich einfach nach Hause!«

»Ja … Mama.«


An diesem Abend kam Punkt 6 auf meine To-do-Liste:

Finde endlich heraus, was in der Hütte ist!

Danach schob ich mir eine Lasagne in die Mikrowelle und schnitt mir die Haare.

Letzteres war keine gute Idee gewesen. Ich sah aus wie Prinz Eisenherz.

Ich ergänzte meine Liste um Punkt 7:

Geh zum Friseur!





11



Montagmorgen, neun Uhr. Ich saß beim Friseur, trank einen Espresso und sah mir Fotos von Stars an, auf denen sie einmal nicht perfekt aussahen. Die Bilder waren untertitelt mit: Was ist Pam denn da eingefallen? Wie kann Charlize sich so aus dem Haus trauen? Kein Wunder, dass Jennifer noch immer keinen Neuen hat! und Christina, diese Augenringe sind echt peinlich!

Ich sah mir jedes kleine Pickelchen und Fältchen auf den ach so schrecklichen Fotos an und wurde immer nervöser. Die Damen sahen ja trotzdem alle hundertmal besser aus als ich, selbst wenn ich herausgeputzt war. Schnell blätterte ich weiter.

Na, immer noch Single? wurde ich auf der nächsten Seite gefragt. 10 Regeln fürs erste Date. Aufgeregt begann ich zu lesen. 1. Ziehen Sie etwas an, in dem Sie sich wohl fühlen. 2. Hören Sie doppelt so viel zu wie Sie selber reden. (Warum denn das? Und wie würde ein solches Gespräch zwischen dem Piraten und mir ablaufen? Da könnte ich ja den ganzen Abend nichts reden!) 3. Selbst bezahlen ist unweiblich. Der Herr bezahlt.

Das brachte mir alles nichts. Ich brauchte keine Ratschläge, wie ich mich bei einem Date zu verhalten hatte, sondern wie ich es überhaupt schaffte, an so ein verdammtes Date zu kommen.

»So, jetzt nehmen wir bitte die Brille herunter.«

Ich tat brav wie geheißen, und sah mein Antlitz samt Haarumrandung im Spiegel nur noch als verschwommenes weiß-braunes Riesenei.

Trotzdem beantwortete ich jedes »Und? Gefallen wir uns?« der Friseurin mit einem artigen »Mmhm«.

Ich hatte mich zu Strähnchen überreden lassen, das erste Mal in meinem Leben. Und irgendwie fühlte ich mich auch danach. Alles an mir schrie gerade förmlich nach Veränderung. Neuer Lebensabschnitt, neue Frisur. Da sprach wohl schon das Weibermagazin aus mir.

Als ich am Schluss die Brille wieder aufsetzen durfte, sah ich aus wie Prinz Eisenherz, der einen gewaltigen Haarhelm trug. Mit blonden Strähnchen.

»Und? Gefallen wir uns?«

Ich schluckte. »Mmhm.«

»Sehr schön ist das geworden, das neue Styling. Viel voluminöser als vorher. Richtig stolz bin ich auf das Styling. Sie sehen hundertmal besser aus als vorher.«

Ich zahlte sage und schreibe hundertdreißig Euro für das Vergnügen Schrägstrich Styling Schrägstrich, wenn die blöde Tussi noch einmal »Styling« sagt, köpfe ich sie. Ich verließ das Geschäft mit der Hand auf dem Kopf, um den Helm irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass er nach oben wuchs und wuchs, was mein schmales Gesicht in die Länge zerrte wie im Spiegelkabinett. Vielleicht sollte ich lieber mich selbst köpfen.

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