Aschenpummel (German Edition)(42)



»Nein, aber ich geh auch nicht in die Sauna oder so …«

»Dann zeig mir wenigstens, wie die Dinger im BH ausschauen.«

Ich schloss die Augen, während sie ihr Urteil sprach: »Teufel, ist der laienhaft ausgestopft. Was ist das überhaupt? Anderer BH muss her.«

Sie hielt mich links und rechts an den Schultern, legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. »Kannst du schwimmen?«

Fünf Minuten später hatte ich eine Verabredung mit dem Piraten. Für diesen Samstag, mit ihm und seiner kleinen Nichte im Freibad. Sie war sechs Jahre alt und wollte nicht in die Herrenumkleide. Der Pirat wiederum konnte schlecht in die Damenumkleide, und ganz alleine wollte er sie auch nicht lassen, also hatte Gisela versprochen, mitzukommen. Doch leider, leider hatte die gute Gisela – »ich unglaublicher Schussel« – bereits an diesem Tag einen anderen wichtigen Termin, den sie nicht mehr absagen konnte. Deshalb würde an ihrer Statt die liebe Teddy als weibliche Unterstützung mitkommen.

Es war ganz und gar unglaublich. Ich hatte ein Date mit dem Piraten.





12



»Und jetzt erzähl mir ein bisschen was über dich.«

Meine erste Reaktion war Abwehr. Noch nie hatte mich jemand dazu aufgefordert, über mich selbst zu reden. Nicht mal Hans, als ich mich für den Job im Schuh-Bi beworben hatte. Er bat mich lediglich, meinen Namen aufzuschreiben, weil er ein hundsmiserables Namensgedächtnis hatte. Am dritten Tag bekam ich einen Zweitschlüssel für den Schuhladen. Das hatte mir so gefallen an ihm. Er vertraute mir von Anfang an.

»Na?«, bohrte Gisela sanft nach.

Die Abenddämmerung setzte langsam ein und begann, den Himmel über unserer Parkbank zartgolden zu schattieren. Giselas Locken lagen wie ein leuchtender Flammenkranz um ihren Kopf. Warum nur hatte ich mir helle Strähnchen machen lassen – rote Haare, das wäre es gewesen. Ich räusperte mich.

»Nun ja, ich bin zweiunddreißig. Noch. Ende des Monats werde ich dreiunddreißig. Und ich, ich kenne den Pi-, Sigi seit vier Monaten. Seitdem er das Buchgeschäft hat. Und … nun ja –« Ich blies eine Menge Luft aus meinen Lungen. Fand, dass ich genug erzählt hatte.

Gisela war anscheinend anderer Meinung.

»Was machst du denn gerne?«, fragte sie.

»Gerne?«, wiederholte ich.

Sie lächelte. »Ich rede von Hobbys – auch wenn ich das Wort absolut doof finde. Aber zumindest weiß jeder, was damit gemeint ist.«

»Hobbys?« Womöglich war es ja mein Hobby, Worte zu wiederholen.

Gisela schaute amüsiert, sie wartete.

Am liebsten hätte ich irgendwas Tolles erfunden. Fallschirmspringen, Tontauben schießen, Kunstfilme anschauen, vegetarisch kochen – doch ich befahl mir, vernünftig zu sein, und sagte lediglich: »Fernsehen und essen.« Halb erwartete ich, dass sie sich über mich lustig machen oder verärgert sein würde, doch sie bohrte gleich weiter: »Und sonst? Was tust du an den Wochenenden?«

Ich spürte, wie meine Nackenmuskeln sich verkrampften. »Ich verbringe Zeit mit meiner Mutter.«

»Ist doch schön.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Erzähl«, forderte sie mich auf.

Also erzählte ich. »Meine Mutter ist … anders. Ich glaube, das wollte sie auch immer sein. In allen Dingen. Bis zur Volksschule haben meine Schwester und ich keine anderen Kinder gekannt. Tissi ist ein Jahr älter als ich, und ich kann mich erinnern, wie glücklich sie in ihren ersten Schultagen war. Und dass ich das nicht verstanden habe, denn unsere Mutter hatte uns eingetrichtert, dass wir nichts Gutes in der Schule zu erwarten hatten. Und es hat sich bewahrheitet. Denn irgendwann ist Tissi vollkommen aufgelöst nach Hause gekommen. Sie hat sich in Mamas Arme geworfen und den ganzen Nachmittag geweint. Die anderen Kinder hatten vom Christkind geredet, und Tissi hatte gesagt, dass sie noch nie etwas von einem Christkind gehört hat. Worauf die anderen gemeint haben, dass sie wohl ein besonders schlimmes Kind sein müsse, wenn das Christkind ihr noch nie Geschenke gebracht hatte. Irgendwann später ist Tissi zu der Überzeugung gekommen, dass Mama an allem schuld sei, aber das habe ich nicht so gesehen. Mama hat mir immer leidgetan. Und außerdem … ja, sie ist eben meine Mutter. Sie hatte es nie leicht.«

»Und warum gab es bei euch kein Christkind?«

Ich zuckte die Schultern. »Bei uns gab es gar kein Weihnachten. Wenn Tissi und ich gefragt haben, was die ganzen bunten Lichter in den Auslagen bedeuten, hat sie gesagt, dass das im Winter so gemacht wird, weil es früh dunkel wird und die Straßenbeleuchtung nicht ausreicht. Nach der Sache in der Schule hat sie uns erklärt, dass die Geschenke nicht das Christkind bringt, sondern die Eltern kaufen. Und dass sie kein Geld für einen Baum und Geschenke hat, weil unser Vater sie mit zwei kleinen Kindern sitzen gelassen hat. Als wir größer waren, haben Tissi und ich ihr ein bisschen Geld stibitzt und einen Christbaum gekauft. Und Kerzen und Schmuck. Das mit dem Geld ist ihr nie aufgefallen. Am Anfang hat sie natürlich Zeter und Mordio geschrien, doch mit den Jahren hat sie sich ans Weihnachtenfeiern gewöhnt und wehe, ich würde einmal den Christbaum vergessen. Natürlich zahle ich ihn jetzt immer von meinem Geld«, schob ich eilig hinterher.

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