Aschenpummel (German Edition)(45)
Auf den Saunagang verzichtete ich an diesem ersten Trainingstag. Gezwungenermaßen. Da stand so großartig an der Tür geschrieben: Einlass zu jeder halben und vollen Stunde. Das passte absolut nicht in meinen Zeitplan, da hätte ich alles andere umändern müssen und das ging leider nicht. Jammerjammerschade.
Als ich schleppenden Schrittes um kurz vor elf in die Sieveringer Straße einbog, überlegte ich, ob ich kurz beim Piraten reinschauen sollte. Gisela wäre natürlich dagegen gewesen, klar, doch Gisela war ja nicht da. Ich hatte Seitenstechen und fühlte mich vollkommen dehydriert. Laufen konnte man das, was ich tat, längst nicht mehr nennen, nicht mal mehr schleichen. Ich schaffte es immerhin irgendwie, einen Fuß vor den anderen zu setzen und halbwegs die Spur zu halten.
Zwei Meter vor dem Libri Liberi steigerte ich das Tempo auf Zeitlupenjogging. Der Pirat sollte ruhig sehen, wie sportlich ich war, zu schnell durfte ich aber auch nicht sein, sonst hätte er ja gar keine Gelegenheit, mich zu sehen. Allerschönstes Zeitlupenjogging, laaaaangsaaaam, elegaaaaaant, Haaaaaallooooo, ich hob die Hand zum Gruß, setzte mein schönstes Lächeln auf und joooooooggte am Buchgeschäft vorbei. Der Pirat war nirgends zu sehen. Mist. Ich trippelte ein paar Schritte zurück und klebte meine Nase an die Glastür. Nichts.
»Guten Morgen, Frau Kis.«
Ich erschrak fast zu Tode. Und prallte mit meinem – trotz Frühsport immer noch erstaunlich schwabbeligen – Hintern an den Piraten. »Was machen Sie denn – auf der Straße?«, stieß ich hervor, plötzlich wieder unglaublich außer Atem.
Er hielt ein paar leere Säcke hoch und zeigte auf die andere Straßenseite zu den Mülltonnen. »Ich habe mich alter Lasten entledigt.«
»Ach ja, verstehe.«
»Oh, und die letzten Minuten habe ich Sie bei Ihrem Morgensport beobachtet.«
Die letzten Minuten? »Ich, äh«, begann ich, »hatte eine Art Krampf, deswegen war ich ein bisschen langsamer, das passiert manchmal, wenn ich es mit dem Sport übertreibe, dann muss ich auch diese Armbewegungen machen …« Ich ruderte mit den Armen und fügte hinzu: »Das kann dann so aussehen, als würde ich winken.«
»Ja, so sieht es in der Tat aus.«
»Naja, jedenfalls freue ich mich auf Samstag. Freue mich sehr darauf, Ihre Nichte kennenzulernen.«
»Ich freue mich auch, Frau Kis.«
Geigespielende Engel waren im Anflug, ein wohliges Prickeln lief über meinen Rücken und Be-De steckte den Kopf aus dem Schuhladen.
»Teeeddy, hör endlich auf zu flirten und schieb deinen dicken Hintern ins Geschäft!«
»Wie kannst du vor anderen Leuten dicker Hintern zu mir sagen!«
»Du hast selbst gesagt, dass du einen dicken Hintern hast. Außerdem waren eh keine Leute auf der Straße.«
»Der Herr Nemeth war da!«
»Der Herr wer? Dieser Buchmann, dieser einäugige?«
»Sag nie wieder dicker Hintern zu mir.«
»Ich hab dich nicht so genannt, ich hab nur gesagt, dass du den dicken Hintern endlich reinhieven sollst.«
»Reinhieven?«
»Was kann ich dafür, dass er dick ist!«
»Du kannst dir deine Scheißehrlichkeit sonst wo hinschieben, Be-De!«
»Hast du grad Bidet zu mir gesagt? Weißt du überhaupt, was ein Bidet ist?«
»Natürlich weiß ich das. In ein Bidet kann ich meinen fetten Hintern quetschen!«
»Jetzt krieg dich mal wieder ein!«
»Krieg du dich wieder ein, Be-De!«
»Wenn du noch einmal Bidet zu mir sagst, kündige ich.«
»Wenn du noch einmal fetter Hintern zu mir sagst, kündige ich.«
Danach kehrte Waffenstillstand ein, kündigen wollten wir beide nicht. Zwei Stunden lang redeten wir kein Wort miteinander, ich bediente zwei Kunden in der Zeit und Bonnie-Denise drei. Der fette Hintern nagte an mir. Was widersinnig war. Besser wäre gewesen, an dem fetten Hintern wäre genagt worden. Als die kleine Melli – vorne eine Eistüte, hinten die Mama – hereingetänzelt kam, überließ ich sie Be-De und flüchtete auf die Straße. Batman war ein guter Zuhörer, und er versuchte sein Bestes, mein Leid mit einem kräftigen Zungenschlecken quer über meine Brille wegzuwischen.
»Dir ist es egal, wie ich ausschaue, gell. Du bist der Einzige, dem das wirklich egal ist.« Ich sage ja, im Selbstmitleid war ich ganz groß. Mit einem Ruck stand ich auf. Batman schnüffelte an meinen Waden. Ich winkte ihm zum Abschied zu und marschierte schnurstracks um die Ecke und in die Apotheke hinein.