Aschenpummel (German Edition)(48)



Das Problem mit diesen ganzen kurvigen Prominenten war doch, dass die trotzdem perfekt aussahen. Wen störten Kate Winslets Hüften, wo doch ihr Busen alles ins Gleichgewicht rückte? Und ihr Gesicht so wunderschön war, dass die Figur ohnehin nur Nebensache war? Steht zu euren Kurven, Frauen, haha, nur mussten die Kurven auch an den richtigen Stellen sitzen. Ich war frustriert. Be-De hatte recht, ich hatte einen fetten Hintern.

Aber verdammt noch mal, scheiß drauf, dann war es eben so! Dann war ich eben nicht perfekt. Dann passte ich eben nicht in das gängige Schönheitsklischee. Ich könnte ja Vorreiterin für ein völlig neues Frauenbild werden. Ich, Teddy Kis, ha! Ab jetzt würde ich meinen Hintern immer zeigen, extra zeigen, posieren, wo ich nur konnte, vorne brüsteln, hinten posieren, egal, was du hast, sei stolz drauf und zeig es. Carpe diem und kill mit deinem smile! Heute Abend würde ich alle Tricks und Kniffe am Zahnarzt ausprobieren, heute Abend würde ich mir selbst beibringen, wie man einen Mann verführt. Und am Samstag würde ich meine neuerworbenen Künste beim Piraten einsetzen und ihn im Sturm erobern. Veni, vidi, vici!

Es klopfte. Scheiße, viel zu früh!

Ich huschte zur Tür, drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete sie. Der Zahnarzt zeigte sein schönstes Lächeln.

»Guten Abend, Herr Doktor, kommen Sie doch herein, ich hol nur noch meine Tasse, äh … Tasse, äh –« Ich hastete hinter den Vorhang, nichts mit Schreiten. Absolut kopflos riss ich die verdammte Tasche an mich und hängte sie mir um. Wer hätte gedacht, dass ich genauso einen S-Fehler wie die kleine Melli hatte, nur dass es bei einer Dreijährigen irgendwie niedlicher war als bei einer Dreißigjährigen. Zweiunddreißig, Teddy, du bist verdammt noch mal zweiunddreißig, denk dran, wenn du da jetzt raus gehst, denk dran, dass du es mit zwei-und-drei-ßig nicht mehr nötig hast, dich wie eine Pubertierende aufzuführen.

Schreiten, schwingen, brüsteln, posieren – schwungvoll riss ich den Vorhang zur Seite und schritt zurück zum Zahnarzt, meine Augen waren auf sein Lächeln gerichtet, und ich konnte spüren, wie verrucht mein Blick war. In genau diesem Moment knackste mein linker Knöchel um. Wie unwahrscheinlich ungeschickt musste frau sein, um in flachen Sandalen umzuknöcheln? Ich jaulte auf und riss die Arme zur Seite, um das Gleichgewicht zu halten. Wenigstens ein gelungener Telemark.

Strohmann sah sehr besorgt drein. »Haben Sie sich was getan, Teddy? Lassen Sie mal sehen.«

Und ehe ich es verhindern konnte, kniete er schon vor mir, das Gesicht auf Höhe meiner Lenden, und ich schickte innerliche Stoßgebete zum Himmel, dass die Hitze mich nicht in irgendeiner Form stinken ließ. Er tastete an meinem Knöchel herum, der eigentlich gar nicht wehtat.

»Kommen Sie, Teddy, wir müssen ihn kühlen.« Er richtete sich auf. »Sie haben doch wohl fließendes Wasser da hinten?«

Ich hatte das Gefühl, ihm für seine Mühe zumindest ein Humpeln zu schulden, und so hüpfte ich an seinem Arm zum Klo.

Im Stillen dankte ich Be-De dafür, dass sie auf einem WC-Erfrischer bestanden hatte, so stank es einfach nur penetrant nach Zitrone in dem engen Raum, und das war sehr gut so. Der Zahnarzt klappte den Klodeckel runter und setzte sich drauf. Mir bedeutete er, mich ans Waschbecken zu lehnen.

In der nächsten Sekunde lag mein linkes Bein auf seinem Schoß und Strohmann begann – meine Wade zu massieren. Danke, lieber Gott, dass ich einmal nicht zu faul gewesen war, mir die Beine zu rasieren. Strohmann war sehr vertieft in seine Arbeit, und mir fiel auf, wie männlich seine Hände aussahen, lange schlanke Finger, unter deren Haut die Adern durchschimmerten und auf deren Knöcheln kleine Härchen saßen.

Ich schluckte, viel zu laut und viel zu trocken. »Sollten wir nicht Wasser auf … auf den Knöchel tun?«, fragte ich und hatte sofort meine Mutter im Ohr: Tun tut man nicht.

»Wasser … jaaa«, gurrte der Zahnarzt. Es klang wie: »Zieh dich aus und lass es uns tun.« Ruhig bleiben. Das bildete ich mir alles nur ein, das bildete ich mir alles nur ein. Er benetzte meinen Knöchel mit kaltem Wasser. Seine Hose wurde etwas nass dabei, und ich musste ihn mir plötzlich nackt vorstellen. Was war bloß los mit mir? Nur weil der Mann so verdammt gut aussah, dass man sich ihm einfach an den Hals werfen musste? Ich wollte doch den Piraten! Als der Zahnarzt meinen Fuß losließ und sanft zurück auf den Boden stellte, war mir komplett schwarz vor Augen. Wie sollte ich heute Abend noch Auto fahren lernen?

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