Aschenpummel (German Edition)(52)
»Keine Ahnung … der Peugeot?« Da gurgelte es wieder. Ich hielt den Atem an. Aus dem Gurgeln wurde ein Grollen. Ich drückte die Hand auf meinen Bauch, spannte die Pobacken an, musste wahnsinnig dringend – verdammt! Ein Pups! Zum Glück ein leiser, aber das sind ja die schlimmsten! Ich presste meinen Zeigefinger auf den Fensteröffner. Der Zahnarzt ächzte. Dann würgte er.
»Meine Güte, Teddy, schließen Sie nur schnell das Fenster. Da draußen stinkt es ja bestialisch.« Er würgte noch einmal. »So was habe ich in meinem Leben noch nicht gerochen. Der Gestank muss direkt aus der Hölle kommen!«
In meinem Bauch stach es fester und grollte es lauter. Verzweifelt drückte ich meine linke Hand dagegen, während meine rechte zunehmend panisch den Fensterknopf drückte.
Lieber Gott, bitte, mach, dass es aufhört, bitte. Ich verspreche, ich werde nie wieder, nie wieder Abführmittel nehmen! Das Stechen wurde tatsächlich leichter, sogar das Grollen senkte die Lautstärke. Wohl deswegen, weil die ganze Schose in meinem Darm weiter in Richtung Ausgang gewandert war. Da wollte eindeutig was raus. Dringend. Aber keine Luft. Material.
»Woran denken Sie, Teddy?«
»An einen Sommer wie damals«, quetschte ich hervor und ließ das Fenster erneut herunter.
Wir fanden einen Parkplatz direkt vor meinem Haus. Ich stieß die Tür auf. Der Zahnarzt legte seine Hand auf meinen Arm. »Ich fand es sehr schön heute Abend, Teddy.«
Ich versucht zu lächeln. Wenn ich nicht gleich auf ein Klo kam, dann –
»Und ich finde Sie schön, Teddy.«
Ich schluckte. Und musste vor lauter Aufregung direkt wieder pupsen. »Bis morgen dann«, hauchte ich und stieg aus dem Wagen – heilfroh, dass ich das Fenster noch mal geöffnet hatte.
Ich rannte über die Straße und galoppierte das Stiegenhaus hoch.
Nie wieder! Nie, nie wieder Abführtabletten! Eineinhalb Stunden hatte es gedauert, bis ich endlich unter die Dusche konnte. Ehrlich, das war es nicht wert.
Nach der Dusche rekapitulierte ich noch einmal die Geschehnisse des Abends. Der Zahnarzt fand mich schön, das sagte er zumindest. Warum musste mir das so imponieren? Da hatte ich den feingeistigen Piraten, der die Geschichte von Hans und Frank Sinatra in all ihrer großartigen Bedeutung verstanden hatte, der sensibel und tiefgründig war, den ich seit vier Monaten liebte, den ich heiraten wollte, für dessen Eltern ich der Welt beste Schwiegertochter werden wollte, und dann ließ ich mich von ein paar gesäuselten Worten und dem bisschen Hand auf meinem Knie derart schwer beeindrucken. Dabei mochte der Zahnarzt nicht mal Frank Sinatra. Also bitte!
Vielleicht war das Problem aber auch, dass ich den Piraten eben nicht hatte, ich hatte ihn einfach nicht, und konnte auch nicht sagen, ob ich ihn jemals haben würde, wohingegen der Zahnarzt … tja, eben der Spatz in der Hand.
Außerdem war der Zahnarzt Mr. Rochester, er war leidenschaftlich und … ja, und was? Ich stellte mich seitlich zum Spiegel. Mein Bauch und mein Hintern standen genauso weit raus wie immer. Und das obwohl ich den Hunger meines Lebens hatte.
Eine knappe Stunde später war mir wieder schlecht. Ich hatte sämtliche tiefgekühlte Fleischvorräte in eine Pfanne geschmissen und aufgegessen. Danach hatte ich eine tiefgekühlte Tiramisutorte in die Mikrowelle befördert, um sie anschließend schaufelweise in mich reinzustopfen. Außen zerronnen, innen steinhart. Die Zähne taten mir weh. Achthundert Gramm Torte. Und davor ein Kilo Fleisch. Mir war so schlecht, ich wollte sterben.
Als ich um Mitternacht wieder auf dem Klo saß, beschloss ich, dass ein Punkt 8 auf meine To-do-Liste kommen musste: Bekomme dein Essverhalten in den Griff!
15
Mittwochmorgen. Meine Hochzeit mit dem Zahnarzt stellte ich mir so vor:
Er in einem weißen Anzug, mit Augen, in denen die Leidenschaft glüht. Ich selbst – wundersam erschlankt – in einem dunkelblauen Seidenkleid und Veilchen im Haar. Tissi und Vanessa, beide tiefstdekolletiert und höchstgeschürzt, kämpfen um den Brautstrauß und wälzen sich schließlich im Schlamm. Die Menge jubelt. Bis auf einen. Er steht ganz hinten, einsam und traurig, mit seiner Klappe über einem Auge und den Händen in den Taschen.
Hubertus drückt mir einen sanften Kuss auf die Wange und flüstert: »Verzeih, du schönste aller Frauen, Liebe meines Lebens. Ich bin gleich wieder bei dir, ich will mir nur kurz mit den anderen das Schlammcatchen ansehen.«