Aschenpummel (German Edition)(54)
»Nein, so was, liebe Teddy!«
Mr. Rochester. Der Zahnarzt. Der mich für schön hielt und mich nun mit einer Packung sündhaft teurer, absolut entwürdigender Orangenhautcreme vor sich fand. Ich lächelte gequält.
»Was kaufen Sie denn Schönes?«
»Für m – meine Mutter«, stammelte ich. »Sie hat –«
»Eine sehr fürsorgliche Tochter. Ich verstehe das.« Er lächelte, drückte dabei sanft die Augen zu, so lange, bis ich vollends geschmolzen war.
»Bis heute Abend, Teddy. Ich freue mich.«
Ich sah ihm nach. Seine blonden Haare wippten bei jedem Schritt, den er machte. Ich merkte, dass ich mir auf die Unterlippe biss. Und mein Atem viel zu schnell ging. Doch ich wusste, dass ich das verklärte Lächeln auf meinen Lippen nicht nur dem Zahnarzt, sondern auch mir selbst zu verdanken hatte. Ich war stolz. Oh ja. Denn ich hatte die Situation mit der Cellulitecreme wunderbar gemeistert. Ich war nicht im Erdboden versunken und ich hatte keine Aliens gerufen. Als wäre ich plötzlich erwachsen geworden. Es war wunderbar, erwachsen zu sein.
An der Kassa musste ich warten. Die Dame vor mir stapelte geschätzte vierhundertzweiundneunzig Schälchen Katzenfutter auf das Förderband, in unterschiedlich hohen Türmen, so dass die Kassiererin erst recht alle zählen musste. Bei Turm Nummer acht hatte sie allerdings vergessen, wie viele sie bisher gezählt hatte, und fing von neuem an. Ich schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, fiel mein Blick auf das Wort Orgasmus. Auf einer Schachtel in einem Regal direkt neben der Kassa. Verjüngen Sie Ihren Beckenboden mit der Reizstrom-Vaginalsonde, stand da. Daneben war eine Abbildung der Sonde, die ein bisschen wie eine silberne Glühbirne aussah, aus deren Sockel zwei Kabel hingen. Ich schob mir die Brille näher an die Augen und las weiter: Die Femaline-Vaginalsonde dient der Behandlung von Inkontinenz und zur Stärkung des Beckenbodens vor und nach der Geburt. Ein trainierter Beckenboden steigert nicht nur die Orgasmusfähigkeit der Frau, sondern kann auch zur stärkeren Lustempfindung des Mannes eingesetzt werden.
Die letzten Worte klangen phantastisch. Vielleicht war das die Lösung für eine meiner Urängste.
Ich sah die Szene schon vor mir:
Der Pirat und ich bei der Erfüllung unserer Träume, unserem ersten gemeinsamen Mal. Ich, wundersam erschlankt, in einem weißen Negligee. Der Pirat komplett nackt, schier von Sinnen aus lauter Leidenschaft. Er reißt mir das sündige Negligee vom Körper, staunt über meine perfekten Formen, wirft sich auf mich, liebt mich. So sehr und so wild und so innig, wie noch nie ein Mann eine Frau geliebt hat. Ich lasse ihn meinen trainierten Beckenboden spüren. Er jault auf vor Lust, bricht erschöpft über mir zusammen, flüstert: »Du unglaublich erfahrene Liebhaberin, Frau meiner Träume. Noch nie hatte ich eine Partnerin, die so genau wusste, was ich brauche. Ich möchte immer bei dir sein. Immer. Immer.«
Ich griff nach der Vaginalsonde. Die Katzenfrau hatte zwar soeben bezahlt, es dauerte aber, bis sie die Futterschälchen auf ihre sieben Einkaufstaschen aufgeteilt hatte.
Die Vaginalsonde lag in ihrer riesigen weißen Schachtel neben der Bodylotion und der Cellulitecreme auf dem Förderband und wartete. Ich biss mir auf die Lippen und wartete auch. Es ist nichts dabei, redete ich mir gut zu. Du bist erwachsen. Du hast das Recht, alles in dem Laden zu kaufen, was sie anbieten. Es ist nichts dabei. Die Katzenfrau zog ab. Die Kassiererin schob erst die beiden Lotionen über den Scanner, dann die Vaginalsonde. Es ist nichts dabei, sagte ich mir noch mal, rein gar nichts. Die Kassiererin sah mich an.
»Ich habe ein Kind bekommen«, erklärte ich.
»Schon klar. Das macht hundertzweiundvierzig Euro und dreißig Cent.«
Ich wühlte das Geld hervor und murmelte: »Drei Wochen alt ist er. Mein Sohn.«
»Mmhm.« Gelangweilt drückte sie mir das Wechselgeld in die Hand.
Ich steckte es ein, schnappte mir meine Schätze und – starb.
»Frau Kis!«
Ich starb, war aber leider nicht tot. Ich starrte den Piraten an. Der Pirat starrte die Femaline-Reizstrom-Vaginalsonde an.
Ich starb noch einmal.
Und war leider immer noch nicht tot.
Mein Blick senkte sich auf die Schachtel. Ganz langsam. Aliens, bitte … Dir wird etwas einfallen, Teddy. Es gibt ein Leben nach dem Tod. Dir wird etwas –
»He«, rief ich aus. Im empörtesten Ton, den ich mir von meinen Kundinnen nur hatte abhören können, »he, das ist ja gar keine Energiesparlampe! Das ist … Strom!« In Richtung Kassa rief ich: »Sie haben mir das Falsche verkauft. Ich wollte eine Energiesparglühbirne für meine Küchenlampe, keine … mit Strom. Da hängt ein Kabel dran, zwei Kabel sogar, das brauch ich nicht. Das brauch ich nicht«, wiederholte ich, zum Piraten gewandt.