Aschenpummel (German Edition)(59)
Sie tat sich augenscheinlich schwer, diese beiden Tatsachen miteinander in Einklang zu bringen. War ja auch schwer zu begreifen, was so ein Mann an mir finden konnte.
»Mama, er gibt mir einfach Fahrstunden.«
»Papperlapapp, Fahrstunden. Ich hoffe nur, er ist nicht einer von diesen Schwulen.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Letztens stand erst in der Zeitung, dass diese Schwulen pervers sind.«
Ich seufzte. Der Hall klang lange im Treppenhaus nach. »Mama, sag, kannst du dir wirklich nicht vorstellen, dass es einen Mann gibt, der sich für mich interessiert?«
Sie ging gar nicht auf meine Frage ein. »Oder ist er ein Ausländer? Könnte ein Pole sein. Oder einer aus der Tschechei. Der ein Visum will.«
»Gute Nacht, Mama.«
»Halt, nicht so hastig, junge Dame. Du wirst mir den Mann bald hierherbringen. Haben wir uns verstanden? Und wenn er nicht gescheit deutsch kann, verbiete ich dir den Umgang mit ihm. Sag ihm das. Sag ihm, er soll gescheit Deutsch lernen. Ach nein, sag ihm am besten gar nichts. Aber bring mir ein paar Enkelkinder nach Hause.«
Ich biss mir auf die Unterlippe. Wahrscheinlich war dieser Moment hier auch nicht schlechter geeignet als alle anderen, um meiner Mutter vom Piraten zu erzählen.
»Mama, es gibt da jemand anderen –«
Sie verdrehte die Augen. »Thaddäa, hör gut zu, was deine Mama dir jetzt sagt: Du gehörst zu den Frauen, Kind, die nie einen Mann für sich alleine haben werden. Es wird immer eine andere Frau geben, du musst nur zusehen, dass du diejenige bist, die den Trauschein hat. Das ist deine finanzielle Absicherung.«
»Mama, nein, ich meinte es andersrum –«
Meine Mutter lachte. Wenn sie gut drauf ist, kann sie mit ihrem Lachen Glas zum Zerspringen bringen, und an dem Abend war sie spitzenmäßig drauf.
»Thaddäa, du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du die Geliebte bist? Dass er eine Frau daheim sitzen hat, und sich bei dir nicht zurückhalten kann? Ha, das ist – das ist … hahaha! Hohohoho!«
Aus dem zweiten Stock hörte man ein Klirren. Dann noch eines. Die ersten Fensteropfer.
»Gute Nacht, Mama.«
Sie griff nach meinem Arm, ihre Hand war eiskalt. »Thaddäa, hör auf deine Mama«, gurrte sie und schob ihr Gesicht so nahe an meines, dass ich wegen ihres Mundgeruchs die Luft anhalten musste, »lock ihn in dein Bett. Mach ihn betrunken, aber nicht zu betrunken, sonst funktioniert er nicht mehr, das kannst du deiner Mama glauben.«
»Mama!« Ich riss mich los und stolperte rückwärts. Meine Wangen brannten vor Scham. Und ein bisschen immer noch von den Küssen des Zahnarztes.
»Mama, rede nie wieder so mit mir«, flehte ich.
»Deine Mama war in ihrer Jugend sehr begehrt. Deine Mama hat gewusst, was die Männer verrückt macht.«
Ich steckte mir die Finger in die Ohren und verfiel in eine Art Moonwalk – weg von Mama, nur weg von Mama, noch ein Schritt, noch ein Schritt.
»Aha«, sagte ich laut, »aha, aha, gute Nacht, aha …«
An der Stiege angekommen, drehte ich mich um und preschte nach oben, fünf Stufen auf einmal nehmend. Mit zitternden Fingern versuchte ich, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, zweimal fiel er mir herunter. Als ich es endlich geschafft hatte, aufzusperren, riss ich die Tür auf und schmiss sie mit Karacho hinter mir zu. Nie wieder machst du das mit mir, Mama! Nie wieder!
Ich stand vor dem Spiegel und heulte meine frisch geküssten Wangen an. Verdammt noch mal, Teddy, was willst du eigentlich? Den Zahnarzt? Nein! Oder?
Ich angelte mein Handy aus dem Rucksack und drückte die Tasten. Ich musste ihn hören, auf der Stelle, ich musste ihm sagen, dass ich ihn –
»Hallo?«
Ich biss die Zähne zusammen.
»Hallo?«
Ich presste die Lippen aufeinander.
»Wer ist denn da?«
Ich kniff die Augen zu.
Der Pirat legte auf.
Na prima, du Genie, das hast jetzt wieder gebraucht, ja, das war absolut nötig, du Vollkofferweib. Gott, am liebsten hätte ich meinen Kopf in den Spiegel gerammt und mir mit den Scherben die Kehle durchgeschnitten. Eine geköpfte Leiche, deren Hautfetzen sich in tausend kleinen Spiegelsplittern reflektieren.
Ich wählte eine neue Nummer.
»Teddy! Hallo!«
»Hallo, Gisela.«
»Was ist los? Du hörst dich traurig an.«