Aschenpummel (German Edition)(56)



»Heute mal nichts«, antwortete ich. »Ich habe aber eine Frage an Sie.«

Nancy zog die Augenbrauen bis zum Scheitel, also einen knappen Meter über die Mundwinkel.

»Hat Hans Ihnen die Sachen von Frank Sinatra vererbt?«

»Erstens, welcher Frank Sinatra, zweitens, welche Sachen, und drittens, was geht Sie das an?«

»Okay, also erstens, der Frank Sinatra, zweitens, die Sachen von ihm, und drittens, Nancy, entschuldigen Sie, aber ich würde einfach gerne wissen, wo die Sachen hingekommen sind. Ich habe Sie vor drei Jahren schon mal danach gefragt, erinnern Sie sich?«

»Woher soll ich wissen, wo das Zeug ist? Nichts hat er mir vererbt. Nichts.«

»Das Schuh-Bi-Dubi-Du aber schon«, warf Bonnie-Denise ein.

»Dafür werd ich ihm im Jenseits danken. Darauf könnt ihr euch verlassen«, knurrte Nancy.

Danach schob sie die Kassa von der linken Seite in die Mitte der Theke und verließ das Etablissement.

»Die nervt«, gab Be-De zu Protokoll.

»Und wie«, stimmte ich zu.

»Und was sollte das mit Hans?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. In letzter Zeit haben mich einige Leute auf die Geschichte angesprochen. Ich hab gar nicht mehr daran gedacht, dass wir früher echte Sinatra-Originale hier gehabt haben. Auch eine Ukulele. Und ein Foto, auf dem Sinatra und Hans gemeinsam drauf waren. Aber eines Tages hat er die Sachen heruntergenommen.«

Be-De schob die Kassa zurück auf die linke Seite und meinte: »Er wird sie einfach mit nach Hause genommen haben, oder?«

Wie langweilig. Und wie unwahrscheinlich. Ich zweifelte das an: »Erstens hat Hans mir damals gesagt, er würde die Sachen bald wieder aufhängen, und zweitens müsste Nancy sie dann doch haben. Sie hat seine Wohnung aufgelöst.«

»Hmm, vielleicht in einem Bankschließfach?«

»Samt Ukulele? Glaub ich nicht. Außerdem hätte Nancy nach seinem Tod ja auch das Bankschließfach räumen müssen.« Ich schob den Vorhang beiseite. »Ich glaube eher, dass er die Sachen irgendwo vergraben hat oder so. Und nachdem es seine Wohnung nicht mehr gibt, müssten sie eigentlich hier sein.«

»Hier?«

»Ja. Vielleicht im Lager unter all den Kartons. Oder im Klo unter einer abnehmbaren Fliese. Oder im Spülkasten.«

»Samt Ukulele?«, fragte Be-De mit hochgezogener Augenbraue und völlig zu Recht.

Ich sah trotzdem nach.

Eine Minute später hatte ich den Deckel des Spülkastens ruiniert und zwei angeknackste Fliesen an den Wänden entdeckt, von denen ich zumindest eine mit ein bisschen Brutalität rausbrechen konnte. Drunter war grauer Verputz, der sich bröckchenweise von der Wand löste.

Be-De schüttelte zwar den Kopf, wirkte aber recht heiter dabei.

»Und was hast du jetzt vor?«, fragte sie. »Die ganzen Schuhkartons durchsuchen?«

Da war er wieder, dieser ungute Gedanke an Vanessa und ihre gestrige Aktion. Wenn ich Be-De jetzt davon erzählte, würde sie sich schieflachen und höhnen, dass sie sich ja gleich gedacht hat, dass die aufgetakelte Schönheit nicht meine Freundin war.

»Hilfst du mir, die Schuhkartons zu durchsuchen?«, fragte ich sie stattdessen.

Be-De schwang ihren Pferdeschwanz. »Logo«, sagte sie.

Die Unbekümmertheit der Jugend hatte manchmal doch auch ihren Vorteil.


Als Be-De um eins ging, hatten wir etwa ein Fünftel der Kartons durchsucht. Wäre die kleine Melli nicht mit ihrem tropfenden Schokoladeneis in den Laden gekommen und hätte uns beide über eine Stunde auf Trab gehalten, dann hätten wir vermutlich sogar noch mehr geschafft.

Um halb drei schneite Vanessa rein. Ich bediente gerade die Frau unseres Fleischers, die sich ihre monatliche Ration an weißen Pantoffeln holte. Für sich, für ihren Mann und für den Lehrling, der zwar neu war, aber sicher die gleiche Schuhgröße hatte wie der alte Lehrling. Na klar, dachte ich, Schuhgröße 43 haben Lehrlinge so an sich.

Als Vanessa erschien, fiel mir auf, dass Be-De und ich vor lauter Schatzsuchen vergessen hatten, die Sinatra-CD auf Repeat zu stellen. Kein Girl from Ipanema für Vanessa heute. Das tat mir fast ein bisschen leid, doch dann sagte Vanessa: »Wunderschönen guten Tag, liebste Freundin, ich gehe gleich nach hinten, gell?«

»Nein!«, rief ich und ließ die weißen Pantoffeln fallen. »Neineinein, ähm, Frau … gnä’ Frau, das macht dann 42 Euro 80. Vanessa, warte bitte!«

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