Aschenpummel (German Edition)(61)
Ich quetschte mich in die Damen Running Dreiviertel Tights und lief die Stufen hinunter. Ich wusste nicht, ob es an der erträglichen Temperatur lag oder doch an meinem Training, jedenfalls fiel mir das Joggen heute zum ersten Mal, ähm, naja, nicht wirklich leicht, aber zumindest irgendwie ein bisschen halbwegs und so. Immerhin rannte ich fast einen Kilometer, bevor mich das übelste Seitenstechen aller Zeiten heimsuchte.
An einen geparkten LKW gestützt, hyperventilierte ich um mein Leben. Dabei hatte ich genügend Zeit, mein Gesicht im Seitenspiegel des Fahrzeugs zu betrachten. Wie sehen normale Menschen aus, wenn sie Sport betreiben und verschwitzt sind? Sie sind rot im Gesicht. Und ich? War weiß wie Kalk, wie Joghurt, wie Käse, wie immer.
Warum konnte ich nicht wie ein ungeschminkter, rotgeschwitzter Promi mit Augenringen bis zum Erdkern aussehen? Abgehetzt und verlebt, aber trotzdem noch begehrenswert schön.
Ich schleppte mich den letzten halben Kilometer zum Schwimmbad und stellte mir dabei vor, ich sei ein gestresster, abgerackerter Star auf dem Weg zum Workout. Im Hallenbad wartete mein Personal Trainer, der mich wieder trimmen würde, mein Gott, wie sehr ich ihn dafür hasste. Und dann die ganzen Fans und die Paparazzi. Und immer musste ich freundlich bleiben, sonst war ich in der gesamten Yellow Press wieder als Zicke verschrien. Wie sehr das alles nervte!
Im Schwimmbad angekommen, beschloss ich, heute etwas Neues zu probieren, und zwar einen Kopfsprung. Und das nicht nur vom Beckenrand aus, nein, sondern gleich vom Stockerl.
Ich platzierte mein Handtuch und die Brille auf einem Plastikstuhl am Beckenrand und vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war. Das Stockerl war einen halben Meter hoch, aus Metall und enorm glitschig. Schon der Aufstieg bereitete Probleme, viel schwieriger konnte die Besteigung eines Achttausenders auch nicht mehr sein. Ach ja, das könnte mein nächstes Projekt werden. Alle zwölf Achttausender besteigen. Oder waren es acht Zwölftausender? Egal. Das würde ich machen! Mit dem Klettern anfangen. Wer klettert, ist frei in Kopf und Seele und hat außerdem sicher eine Bombenfigur. Verdammt, warum hatte ich all diese Sachen nicht schon mit zwanzig begonnen? Dann hätte ich jetzt schon ein paar Zwölftausender geschafft. Was hatte ich überhaupt gemacht in den letzten Jahren?
»Springen Sie jetzt endlich?«
Ich fuhr herum. Hinter mir standen zwei Buben im Volksschulalter. Was machten die um die Zeit schon hier?
»Ihr könnt aber ruhig ›du‹ zu mir sagen«, belehrte ich sie. »So alt bin ich nämlich noch nicht.«
Die beiden sahen sich an und runzelten die Stirn.
»Für wie alt haltet ihr mich denn?«, fragte ich.
»Komm geh’ ma«, flüsterte der Größere. Er packte seinen Freund am Handgelenk, und sie rannten kreischend davon. Jetzt gehörte ich also schon zu den Leuten, die kleinen Kindern Angst machten.
Ich faltete die Hände wie zum Gebet und beugte den Rumpf. O Gott, das war so hoch. Wenn ich es nicht richtig machte, würde es bestimmt wehtun. Unauffällig blickte ich mich um. Von links kam der Bademeister, der durfte auf keinen Fall zusehen, also schnell! Ein unglaublicher Moment, als ich das Wasser auf mich zukommen sah und mir vorstellte, wie ich elegant eintauchte, die Beine gestreckt, den Körper gespannt, autsch!
Obwohl ich vorm Absprung den Kopf bei den Zehen hatte, hatte ich es geschafft eine Bauchlandung hinzulegen, und zwar allererster Güte. Ohne Brille sah ich alles um mich herum nur äußerst verschwommen, trotzdem meinte ich zu erkennen, wie der Bademeister den Kopf schüttelte.
Ich tauchte unter. Ich tauchte die halbe Beckenlänge, schnappte kurz nach Luft und tauchte bis zum anderen Ende durch. Mein Körper fühlte sich leicht, fast schwerelos an. Ich hielt mich am Beckenrand fest, warf mein Haar nach hinten und sah mir die Strecke an, die ich getaucht war. Oh ja, ich war gut und fähig und sportlich. Ich hatte es drauf. Was sollte mich schon von irgendetwas abhalten? Beispielsweise von der Sauna? Ich grinste. Eine Frau, die ihren Körper so unter Kontrolle hatte, dass sie – mit nur einmal Luftholen zwischendurch – eine ganze Beckenlänge entlangtauchen konnte, sollte sich nackt in der Sauna zeigen!
Okay, ich hielt mich nicht ganz an meinen Zeitplan, verzichtete gänzlich aufs Wassertreten und eigentlich auch auf das Schwimmen. Tauchen machte mehr Spaß.
Vor dem Saunagang kaufte ich mir eine Handvoll rosaweißer Gummimäuse an der Theke. Und ein paar saure Colafläschchen. So wie früher nach dem Schwimmunterricht mit der Schule, also nur der Nostalgie wegen. Ein paar kleine Nostalgiekalorien konnten doch nicht viel ausmachen, außerdem fand ich, dass ich nach den Tauchgängen eine Belohnung verdient hatte. Es war acht Uhr neunundfünfzig, also schob ich mir das Gummizeug auf einmal in den Mund und eilte mit meinem Handtuch um die Hüften zur Saunatür.