Aschenpummel (German Edition)(64)



»Teddy!«

»Ich hab gesagt, du sollst gehen!« Ich schrie die Worte raus, vor meinen Augen tanzten rote Funken. »Und ich sage dir noch was! Hör auf, dich einzumischen! Ich will das nicht mehr, hörst du! Es ist mir schnurzegal, ob du Psychologin oder Psychiaterin oder sonst was bist! Und solange du mich nicht netter behandelst, ist es mir auch schnurzpiepegal, ob du Tira oder Tissi heißt!«

Mit der flachen Hand schlug sie mir gegen die Stirn. Ich taumelte nach hinten und fragte mich benommen, wieso sie mich ausgerechnet auf die Stirn geschlagen hatte, da kickte Be-De ihr Knie in Tissis Hintern.

Tissi kreischte auf. Be-De kickte noch mal. Tissi schrie etwas von »Mordversuch« und »Anzeige«, dann floh sie hinaus auf die Straße und knöchelte draußen vor der Tür um. Mein Gott, so was war ihr sicher noch nie passiert. Mir fehlten die Worte.

»Bonnie-Denise«, flüsterte ich ehrfürchtig. »Bonnie-Denise, du bist eine echte Freundin.«

Be-De nickte. Dann sagte sie schlicht: »Yeah.«


Den Nachmittag erlebte ich wie auf Drogen. Die ersten beiden Stunden zitterten meine Hände, als hätte ich einen Mord begangen. Und irgendwie hatte ich durch meinen verbalen Befreiungsstoß tatsächlich das Gefühl, als hätte ich Tissi mit bloßen Händen erwürgt. Zumindest ein bisschen. Ich war erleichtert und schockiert zugleich und fürchtete mich vor Mama und der Polizei, doch Be-De zerstreute meine Ängste.

»Ach, komm schon, wie will deine Schwester uns schon was anhängen, die hat doch keinen einzigen Beweis. Glaubst du, die Polizei interessiert, dass sie eine auf den Hintern bekommen hat? Pah!«

Shiti, war die Frau selbstbewusst.

Nachdem Be-De gegangen war, öffnete ich pflichtschuldigst weitere Schuhschachteln im Lager und bediente ein paar Kunden. Unter anderem die Frau vom Fleischer, die das weiße Paar Pantoffeln für den Lehrling umtauschen kam. Wer hätte aber auch gedacht, dass ein mittelgroßer Lehrling Schuhgröße siebenundvierzig haben könnte!

Um sechs Uhr hatte ich die letzte Schachtel aufgemacht.

Nichts.

Konnten die Sachen hier noch irgendwo anders sein? Hmm, die Frage war, warum Hans die Erinnerungsstücke kurz vor seinem Tod abgenommen hatte. Hatte er sie verschenkt? Konnte es so simpel sein? Aber erstens konnte ich mir nicht vorstellen, an wen, zweitens hätte er daraus doch kein Geheimnis zu machen brauchen, und drittens, warum hatte er mir dann gesagt, dass sie bald wieder an Ort und Stelle hängen würden?

Mein Handy klingelte. Mama. Das hatte ja erstaunlich lange gedauert. Ich holte Luft, klappte das Handy auf und sagte: »Hallo Mama.«

»Du weißt schon, dass ich deinetwegen neun Monate Übelkeit und Krampfadern auf mich genommen habe? Vom Dammriss ganz zu schweigen, ich spür ihn heut noch.«

»Ja, Mama«, presste ich hervor, »und ich bin dir auch sehr dankbar dafür.«

Sie stieß einen kleinen Schrei aus. »Dankbar? Und wie kann es sein, dass du dein eigen Fleisch und Blut grün und blau schlägst?«

»Ich …«

Unbeirrt fuhr sie fort: »Ich will, dass meine beiden Mädchen zusammenhalten!«

Ich wollte schon sagen, dass wir das ja taten, aber das wäre doch zu unsinnig gewesen.

»Du kannst dich bei deiner Mama bedanken, dass ich Tissi davon abhalten konnte, Anzeige zu erstatten.«

Ich verkniff mir das übliche »Danke, Mama« und platzte heraus: »Das musstest du ja auch. Wenn ich im Gefängnis bin, hast du ja niemanden mehr, der dich am Sonntag herumchauffiert.«

Kurz war es still am anderen Ende der Leitung. Mir kam der Gedanke, dass meiner Mutter soeben zum ersten Mal bewusst geworden ist, dass sie in gewisser Weise abhängig war von mir.

Das würde auch erklären, warum sie das Gespräch in recht freundlichem Ton beendete. »Dann also bis Sonntag, Thaddäa.«

»Ja«, sagte ich und klappte das Handy zu.

Wir würden uns am Sonntag sehen. Und bis dahin würde ich es endlich schaffen, mich von ihr zu lösen, sonst würde ich uns beide an den erstbesten Baum fahren müssen.





18



»Und noch mal das ganze Spiel, liebste Teddy – links das Pedal koooommen lassen, rechts ruuuunter drücken, kommen – runter, kommen – runter, jaaaaa, jaaaa, sehr gut … und gleich noch mal, links koooommen, rechts ruuuunter, jaaaa, bravo! Bravissimo, Teddy!«

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