Aschenpummel (German Edition)(68)
»Nein«, entfuhr es mir plötzlich. »Nein, ich möchte tatsächlich niemand anderes sein. Ich will ich sein. Nur besser.«
Gisela lachte laut. »Na, dann mach dich doch besser. Mach einfach. Ein anderer kann’s nicht für dich tun.«
»Weißt du was, Gisela? Aber –«, ich stockte, »was ich dir jetzt erzähle, darfst du nie jemandem sagen.«
Gisela hob feierlich die linke Hand. »Ich schwöre.«
»Letzten Freitag war ich kurz davor, mich aus dem Fenster zu schmeißen.«
Sie wirkte nicht im Mindesten schockiert, sie fragte nur: »Und warum?«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Oh Mann, das brauchte ich jetzt aber echt nicht. Energisch räusperte ich mich. »Wegen so vielem.« Ich seufzte. »Zum Beispiel wegen meiner Mutter, die sich andauernd einmischt, die mich nicht mein Leben leben lässt.« Ich ließ die Faust auf die Tischplatte fallen. »Wobei ich ja nicht mal weiß, wie ich gerne leben würde, wenn sie mich ließe. Ich bin zweiunddreißig und hab noch nie einen Mann gehabt. Noch nie!«
Gisela lächelte. »Na und? Ich auch nicht.«
Ich fand das nicht lustig. »Manchmal, wenn ich unter Leuten bin, im Schuhladen oder einkaufen oder einfach nur auf der Straße gehe, dann habe ich das Gefühl, dass alle es mir ansehen. Als würde es mir ins Gesicht geschrieben stehen. Es ist wie ein Stigma. Ich bin eine Aussätzige. Ich gehöre nicht dazu.«
Sie nahm meine Hand. »Teddy, niemand sieht dir das an. Niemand. Was fast schade ist, weil du stolz darauf sein solltest, dass du es anders machst als die Masse. Das zeugt von Stärke.«
»Aber ich möchte doch so gerne sein wie alle anderen«, stieß ich verzweifelt hervor. »Ich will ganz normal sein.«
»Teddy, was bedeutet denn ›ganz normal sein‹«? Wie der ganz normale Rassist von nebenan? Wie der ganz normale kleinkarierte Bürger, der kein anderes Vergnügen kennt, als über die Nachbarn zu meckern? Wie die ganz normale Ehefrau, die mit ihrem Mann schläft, während sie an ihren Bürokollegen denkt? Das sind normale Menschen, fürchte ich. Möchtest du sein wie sie?«
Ich schüttelte den Kopf.
Gisela ließ meine Hand los. Sie sah ernst aus. »Individualität wird leider viel zu wenig geschätzt. Die Welt wäre bunter und besser, wenn wir nicht alle in dem Zwang leben würden, so sein zu müssen wie Hinz und Kunz.«
Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. Plötzlich fragte Gisela: »Warum hast du denn noch nie einen Mann gehabt?«
»Na, weil mich nie einer interessiert hat, den ich hätte haben können«, sagte ich und fegte mit der Hand beinahe meine Teetasse vom Tisch. »Wahrscheinlich hätte ich aber nicht mal die haben können, die mich nicht interessiert haben!«
»Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe. Teddy«, Gisela beugte sich zu mir, »jetzt will ich dir mal was über Männer verraten. Wenn eine Frau es geschickt anstellt, dann bekommt sie jeden – und damit meine ich wirklich jeden – Heteromann ins Bett. Ausnahmen gibt’s nicht. Auch nicht George Clooney.«
Ich grinste. George Clooney, das wäre was.
Indessen fuhr Gisela fort: »Und das nicht unbedingt, weil Männer notgeiler sind als Frauen. Aber einen Mann kannst du grundsätzlich immer bei seiner Eitelkeit packen. Du musst nur herausfinden, ob es ihm mehr schmeichelt, erobert zu werden oder selbst zu erobern. Also, Teddy, Folgendes: Wenn du noch Jungfrau bist, dann ist das erstens mal dein gutes Recht und zweitens«, sie machte eine kurze Pause, »bist du selbst dafür verantwortlich.«
Ertappt blickte ich hoch.
Gisela lächelte. »Und nur, dass ich das noch mal klarstelle: Ich finde es absolut prima, dass du nicht mit jedem Dahergelaufenen in die Kiste steigst. Ich finde es prima, wenn du für dich entschieden hast, dass du noch warten willst. Aber wenn du eigentlich nicht warten willst, dann liegt es allein in deiner Hand.«
Atemlos stieß ich hervor: »Wie krieg ich Sigi ins Bett? Soll ich ihn auch bei seiner Eitelkeit packen? Welcher Typ ist er?«
Gisela setzte ihre Tasse ab. »Sigi ist kein Eroberer. Er muss erobert werden. Doch du bist schon auf dem besten Weg dazu. Sei einfach weiter nett zu ihm. Sei du selbst, er mag dich ja. Du musst nur mehr Selbstvertrauen haben.«