Aschenpummel (German Edition)(71)


Und nachdem keine Motivationsstütze Gisela neben mir stand, wurde die Birne oben immer schmaler und unten immer breiter.

Ich versuchte es auf Zehenspitzen. Das war irgendwie besser. Auf Zehenspitzen und den Hintern nach hinten strecken, dann waren die Reiterhosen schmaler. Also, zumindest von vorne.

In dem Moment spürte ich etwas Nasses an meinem Bein und entdeckte ein dünnes Blutrinnsal, das aus der Bikinihose kam.

Natürlich. Morgen ging ich mit dem Piraten schwimmen, und tollerweise hatte ich rechtzeitig dafür meine Tage bekommen.

Plötzlich musste ich lachen. Trotzdem würde der morgige Tag der verdammt noch mal beste in meinem Leben werden!

Er musste einfach.





20



Samstagmorgen, sieben Uhr. Ich lag im Bett auf dem Rücken und wusste nicht, was weiter aufgerissen war, meine Augen oder mein Mund. In drei Stunden sollte ich mit dem Piraten im Schwimmbad sein.

In einem Bikini.

War ich komplett durchgeknallt?

Ich verfluchte mich und Gisela und den Piraten. Und den Zahnarzt gleich mit. Das kam ja auch noch dazu! Nach der ganzen Bikini-Strapaze wollte der mich am Abend noch entjungfern.

Ich wusste, dass alle anderen Mädchen das auch durchmachten. Aber ich war doppelt so alt wie ein Mädchen!


Er hatte eine weiße Hose an und dazu ein hellblaues Shirt. Ein schlankes Kind mit brauner Haut und schwarzem Zopf hing an seiner Hand. Obwohl der Pirat locker der Vater des Mädchens hätte sein können, sah er neben ihr etwas verloren aus und wirkte viel eher wie der Bruder als wie der Onkel. Ich atmete kräftig aus – na komm, hin mit dir, du Heldin, du schaffst es.

Zwei Minuten später stand ich noch immer zehn Meter hinter den beiden. Es war sicher das dreißigste Mal, das ich kräftig ausatmete, mittlerweile war ich knapp vorm Hyperventilieren. Da drehte das Mädchen sich um. Sie legte den Kopf schief und sah mich an. So als wüsste sie ganz genau, dass ich diejenige war. Ich winkte ihr zu. Ihr Mund öffnete sich zu einem Lächeln, so spontan wie nur Kinder es hinbekommen. Sie zog am Piraten. Ich atmete ein einunddreißigstes Mal aus und ging zu ihnen.

»Hallo«, sagte ich.

»Guten Tag, Frau Kis«, sagte der Pirat.

»Hallo«, sagte das Mädchen. »Bist du die Frau Kies?«

Ich beugte mich zu ihr. »Ja, aber es wäre schön, wenn du Teddy zu mir sagst.«

»Teddy?« Sie hielt sich die Hand vor den Mund und lachte. »Teddy so wie ein Teddybär?«

Ich nickte. »Ganz genau. Und wie heißt du?«

»Cheyenne.«

»Das ist ein sehr schöner Name.«

»Ich bin schon sechs.«

»Wow.«

»Frau Kis, ich danke Ihnen sehr, dass Sie gekommen sind.«

»Und ich danke Ihnen«, antwortete ich und ging voraus zur Warteschlange. Den Anfang hatten wir geschafft.

Es dauerte eine knappe Minute, bis ich die Katastrophe entdeckte. Vier Leute waren noch vor uns, als ich bemerkte, dass ich meine Geldbörse zu Hause vergessen hatte. Wie hatte das denn passieren können? Da bereitete ich mich tagelang wie eine Verrückte auf dieses Ereignis vor und dann vergaß ich das Allerwichtigste!

Niemand, niemand auf der Welt hätte mich dazu bringen können, den Piraten zu bitten, für mich mit zu bezahlen. Das war so peinlich. Unsagbar peinlich.

Nur noch zwei Leute vor uns. Ich spürte, wie sich Schweiß auf meiner Stirn sammelte, und war mir sicher, dass er aus reinem Blut bestand. O lieber Gott, wenn du mir aus dieser Situation hilfst, dann werde ich ein besserer Mensch. Ich werde alles tun, nur bitte, bitte, bitte, bitte … mein Blick fiel auf die Familie hinter uns und vor allem auf ihre Badetasche, die sie auf den Boden gestellt hatte. Obenauf lag eine schöne, dunkelblaue Geldbörse … natürlich war es geistige Umnachtung, aber bitte, nur aus Liebe. Aus Liebe und dem unkontrollierbaren Bedürfnis, um nichts in der Welt peinlich zu sein. Bevor ich wusste, was ich tat, hockte ich mich neben die Badetasche und nahm mit der Flinkheit eines Meisterdiebs die Geldbörse an mich.

Ich hielt die Luft an. In meinen Ohren rauschte es. Würde die wütende Menge sich auf mich stürzen? War die Polizei schon unterwegs? Klickten die Handschellen? Bis auf die zweitausend Schilling aus Mamas Wäschelade und das Weihnachtsbaumgeld hatte ich noch nie etwas gestohlen.

Das Diebesgut brannte wie Feuer in meiner Hand, als ich mich der Kasse näherte.

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