Aschenpummel (German Edition)(75)
»Onkel Sigi«, begann Cheyenne.
»Hmm?«
»Ich will, dass du zu Teddy ›Teddy‹ sagst. Und nicht ›Frau Kies‹.«
»Kis, heißt sie, Cheyenne. Kis.«
»Nö, du sollst Teddy sagen.«
Der Pirat räusperte sich.
Schnell sagte ich: »Ja bitte, sagen Sie doch ›Teddy‹ zu mir.«
Er räusperte sich noch einmal. »Ja, also dann, ich bin der Sigi.« Feierlich streckte er mir die Hand hin. Feierlich ergriff ich sie.
Cheyenne lachte laut. Und als sie fertig damit war, rief sie: »Ihr seid ja blöd.«
21
Das Gewicht der Badetasche schnitt in meine Schulter und auf den frisch erworbenen Sonnenbrand. Das machte nichts, doch was auf der Heimfahrt vom Schwimmbad hätte überhaupt etwas machen können? Ich war so glücklich, es hätte eigentlich keine Straßenbahn gebraucht, um mich nach Hause zu bringen, genauso gut hätte ich wieder mal fliegen können.
Alles war gut gegangen. Ich war jetzt per »Sigi« mit ihm und beim Abschied hatten wir drei ausgemacht, dass wir nächste Woche zusammen ins Kasperltheater gehen würden.
Als ich nach Hause kam, war es schon fast sechs. Höchste Zeit, um mich für die Verabredung mit dem Zahnarzt fertig zu machen. Zwei Rendezvous an einem Tag, das schrie schon faktisch nach einem Guinness-Rekord.
Was zog Frau an, wenn sie Mann abservieren wollte, ohne Mann damit großartig das Herz zu brechen, aber dennoch unverschämt gut dabei aussehen musste?
Tja, keine Ahnung, was Frau anziehen würde, ich jedenfalls entschied mich – auch aus Mangel an Alternativen – für das olivgrüne Sackkleid. Darin hatte ich immerhin an jenem denkwürdigen Abend vor acht Tagen mein erstes echtes Gespräch mit dem Piraten geführt. Über Gasgemische und so.
Jetzt stellte sich natürlich folgende Frage: Extra duschen und linken Oberschenkel rasieren, falls doch was passieren sollte heute Nacht? Oder aber alle nur erdenklichen Übel bestehen lassen, um sich so vor der eigenen, immerhin denkbaren Schwäche zu schützen? Denn so sehr ich auch den Piraten liebte und wusste, dass er derjenige sein musste, der mich – schrecklich poetisch ausgedrückt – in die Welt der Liebe einführte, konnte mir irgendjemand garantieren, dass ich den Zahnarzt nicht doch zumindest ein bisschen an die Wäsche ließ? Ein unrasierter Oberschenkel konnte das, jawohl.
Als ultimative Sicherheit, dass ich den Zahnarzt nicht unter meinen Rock schauen lassen würde, schlüpfte ich in ein kackbraunes Miederhöschen.
Das Gesicht schminkte ich mir dennoch besonders sorgfältig, was hieß: stark. Wenn ich ihm schon den Todesstoß versetzen musste, dann wollte ich ihm zumindest dabei gefallen. Das hatten wir uns beide verdient, fand ich. Es sollte schließlich ein unvergesslicher Abend werden.
Sobald mir diese Ankündigung wieder eingefallen war, ging sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte daran, als ich meine Wimpern tuschte, als ich Rouge auflegte und als ich mir die Lippen nachzog.
»Das wird ein unvergesslicher Abend werden, Teddy.« So hatte er es formuliert, oder? Das konnte vieles heißen. Viel Gutes zum Beispiel. Oder auch was Schlechtes.
Vielleicht Mord?
Ich starrte auf meine knallroten Lippen und schluckte. Hör auf mit dem Blödsinn, Teddy. Das kommt nur von der blöden Jetzt-Leserei. Denk sofort an was anderes. Doch ich konnte nicht. Hatte Gisela nicht auch gesagt, dass ich nicht zu ihm in die Wohnung gehen sollte? Ich sah es schon vor mir:
Der Zahnarzt, der mich erst mit Küssen, die ich natürlich doch über mich ergehen lasse, gefügig macht, bevor er mich schließlich ans Bett fesselt und beginnt, meine Zehen abzuschneiden. Und dann meine Finger. Er näht die Finger an die Füße und die Zehen an die Hände. Ich bin der Ohnmacht nahe, es wäre eine Gnade, endlich das Bewusstsein zu verlieren, doch das Adrenalin hält mich wach. Er weidet meine … Eingeweide aus … oder so ähnlich …
Mir war schlecht. Ich setzte mich auf den Badewannenrand und hätte am liebsten angefangen zu heulen. Nur eine absolut Wahnsinnige ging in der Nacht in die Wohnung eines fremden Mannes. Oder? Denn in Wahrheit war er doch genau das für mich. Ein Fremder. Vielleicht konnte ich ihn anrufen und den Treffpunkt ändern. Alles wäre besser, von mir aus auch ein Stundenhotel, nur bitte, bitte, irgendwas, wo wir zusammen gesehen wurden! Ich rannte ins Wohnzimmer, griff mir das Telefonbuch und blätterte fieberhaft in den Seiten. Da, Dr. Hubertus Strohmann. Ich fingerte an den Tasten herum und schaffte es beim vierten Mal, die richtige Nummer einzutippen.