Aschenpummel (German Edition)(77)
»Hallo«, sagte ich. Rhetorisch eine Eins, wie immer.
Er sagte gar nichts, nahm nur meine Hand und zog mich in die Wohnung hinein. Dann schloss er die Tür und sicherte sie mit einem Riegel.
Ich saß in der Falle.
Gut, das war wahrscheinlich etwas übertrieben, schließlich war ich in der Lage, einen Riegel zu lösen und eine Tür zu öffnen. Außerdem lag der Duft von Knoblauch und Rosmarin in der Luft, was meine Laune erheblich hob. Wobei gewürztes Menschenfleisch womöglich auch ganz gut roch.
Der Zahnarzt sah besser aus denn je. Ganz in schwarz gekleidet, so wie Patrick Swayze in dieser einen Szene. Wo er tanzt.
Ich fühlte den kratzigen Stoff meines Sackkleids am Rücken und wünschte, ich hätte die Sache mit der Kleidung nicht so auf die leichte Schulter genommen. Aber echt, es hatte ja keiner wissen können, dass der Zahnarzt heute Abend so gut aussehen würde. Verlegen schlüpfte ich aus den Schuhen.
Der Zahnarzt betrachtete meine nackten Füße. Ich stellte die Zehen auf.
»Was ist denn?«, fragte ich unsicher.
»Ihre Füße, sie sind perfekt. Alles an Ihnen ist einfach so perfekt.« Sein Blick brannte auf meiner Haut. Brannte im positiven Sinn. Viel zu positiv. Ich liebte doch den Piraten. Trotzdem ließ ich es zu, dass der Zahnarzt die Hand auf meinen Hintern legte und mich an sich zog.
Im nächsten Moment küssten wir uns. Innig, wie man so schön sagt. Und bevor man mich deswegen verurteilt, ich hatte gute Gründe dafür – von Patrick Swayze einmal ganz abgesehen.
Wenn der Zahnarzt wirklich ein Mörder war, dann musste ich natürlich alles tun, um ihm so gut zu gefallen, dass er mich am Leben lassen wollte. Und wenn das hieß, dass ich mich von ihm begehrlich küssen lassen musste, so absolut schrecklich das auch war, dann hieß es das eben. Es war eine schauspielerische Höchstleistung, die da verlangt war, und ich meisterte sie so gekonnt, dass mein Körper von kleinen Elektroblitzen durchzuckt wurde, ganz so, als würde mir das Knutschen wirklich gefallen.
Mann, war ich gut. Und Mann, war er gut.
Plötzlich hob Strohmann mich hoch. Seine Wangen zitterten unter der Anstrengung, doch er schaffte es, mich bis ins Wohnzimmer zu tragen. Und mit »Wohnzimmer« meine ich einen mittelgroßen Kontinent. Die hintere Wand war so weit weg, dass ich sie mit bloßem Auge nicht erkennen konnte.
Der Zahnarzt legte mich auf einem walfischgroßen Sofa ab und säuselte: »Machen Sie es sich gemütlich, meine Liebe. Ich sehe nur kurz nach dem Essen.«
Ich nickte artig. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Was darf ich Ihnen zum Trinken bringen?«
»Alkohol«, antwortete ich.
Als er draußen war, stand ich auf und begann auf Zehenspitzen herumzuschleichen. Das alles sah doch ganz normal aus, oder? Vielleicht in seiner Größe und Wucht nicht allzu unbescheiden, aber übertrieben psychopathisch nun auch wieder nicht.
Der Zahnarzt schmetterte eine Melodie in der Küche, und ich merkte, dass meine Anspannung langsam nachließ. Ein Sprichwort fiel mir ein: »Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.« Ich ahnte, was Gisela dazu sagen würde, doch ich für meinen Teil wollte das in diesem Moment unbedingt glauben.
Wir aßen auf der Terrasse. Der Zahnarzt hatte an die fünfzehn verschiedene Platten aufgetragen, bei deren Anblick es mir die Sprache verschlug. Ich beging gleich mal den ersten Fauxpas, indem ich in eine Hummerzange biss. Die hatte so lecker knusprig ausgesehen.
Strohmann bangte sofort um meine Zähne.
Ich stopfte abwechselnd Spargel, Filetsteak und Käse in mich hinein und spülte mit Champagner nach. Ich konnte mich immer mehr mit dem Gedanken anfreunden, Zahnarztgattin zu werden.
Bis der Zahnarzt schließlich sagte: »Und jetzt, Teddy, möchte ich Ihnen jemand ganz Besonderen vorstellen.«
Ich hustete und sprühte eine Champagnerwolke aus dem Mund. Nur äußerst widerwillig ließ ich mich in die Wohnung ziehen, schließlich war ich noch nicht mal beim Dessert angelangt. Und genug Alkohol hatte ich auch noch nicht intus, um jetzt schon Sex haben zu können.
Strohmann führte mich in den Flur und öffnete dort eine Tür.
Das Schlafzimmer. Ich schnappte nach Luft. Nicht weil es das Schlafzimmer war, darum war es ja die ganzen letzten Tage gegangen, wenn ich seine Andeutungen richtig verstanden hatte, sondern weil dieser Raum so vollkommen anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Dominiert wurde er von einem gewaltigen Himmelbett. Dem Bett gegenüber stand eine zierliche Schminkkommode. Ja, Schminkkommode. Doch der Zahnarzt entpuppte sich nicht etwa als Frau.