Aschenpummel (German Edition)(66)
Ich war so schockiert, dass ich mich augenblicklich auf den Boden setzen musste. »Sag das noch mal.«
»Du hast immer Mamas Aufmerksamkeit gehabt.«
»Ach komm«, zischte ich. »Also ob das was Gutes wäre!«
»Glaubst du nicht, dass ich sie nicht auch manchmal gebraucht hätte?«, fragte Tissi ruhig. Viel zu ruhig für meine Begriffe.
Umso hysterischer antwortete ich: »Dann geh doch du jeden Tag zu ihr. Zieh du in dieses Haus. Kümmer du dich um sie.«
»Wozu? Wenn ich sie anrufe, redet sie nur von dir.«
Ich schnappte nach Luft. »Das will ich ja gar nicht!«
Unbeirrt fuhr Tissi fort: »Das war schon immer so. Wenn ich irgendetwas geleistet habe, dann hat sie mich nie gelobt, sie hat ständig nur davon geredet, dass du diese Leistung nicht erbringen wirst.«
»Na, ganz toll«, sagte ich.
»Ich hab immer funktionieren müssen. Um dich hat sie sich gekümmert, aber ich war das Selbstläufermodell.«
Ich wollte was einwerfen, doch sie war schneller: »Und bei den Männern hast du es auch leichter.«
Am liebsten hätte ich mein Handy im Klo versenkt. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder war Tissi auf Drogen oder sie machte sich einen Spaß daraus, mich zu verhöhnen. Ich befürchtete Letzteres.
»Weißt du, was die Männer in mir sehen?«
Ich verdrehte die Augen so weit rauf, dass sie wahrscheinlich für immer da oben stecken bleiben würden. »Lass mich raten. Sie sehen dich als Sexobjekt.«
»Falsch geraten«, sagte Tissi.
Das kam jetzt überraschend. »Falsch geraten?«, wiederholte ich stupide.
»Sie sehen mich als selbstbewusste Karrierefrau, die es zu knacken gilt. Ist das einmal geschafft, haben sie Angst, dass sie nicht mit mir mithalten können. Folge: Sie verlassen mich. Das war immer so, und das wird immer so sein.«
»Und was ist bei mir besser? Dass ich von vornherein keinen Mann kriege und gar nicht erst verlassen werden kann?«
Das gewohnt Schnippische kehrte in Tissis Stimme zurück. »Frauen wie du bekommen doch immer irgendeinen Mann, der alles für sie tut.«
Ich war im falschen Film. Verwechselte sie mich?
»Was heißt überhaupt ›Frauen wie ich‹?«, hakte ich nach.
»Das weißt du ganz genau.«
»Weiß ich nicht!«
»Heiratest du denn jetzt eigentlich?«
»Nein, nein, das hätte Mama nur gern. Aber was meinst du mit …«
»Oh, Gott sei Dank«, entfuhr es Tissi.
»Warum?«
»Weil es nicht richtig wäre, wenn du, die Jüngere, zuerst heiratest! Gute Nacht, Teddy.«
»Tissi, warte!«
»Wie heiße ich?«
»Ti-, Tira! Entschuldige bitte. Und warum hast du dich überhaupt umbenannt?«
»Weil ich nicht mehr Tissi sein wollte.«
Mir stand der Mund offen, ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte.
Irgendwann merkte ich, dass sie aufgelegt hatte. Der Mund stand mir noch immer offen.
Tissi wollte nicht mehr Tissi sein.
19
Der Freitagmorgen begann hervorragend, ich hatte nämlich mit Gisela vereinbart, gemeinsam einen neuen vorteilhaften Badeanzug kaufen zu gehen, musste also weder laufen noch schwimmen und verzichtete konsequenterweise auch gleich auf das frühmorgendliche Wechselduschen.
Die Einkaufstour erwies sich jedoch alles andere als einfach. Es war richtig harte Arbeit, und ich begann zu verstehen, dass es die Mädchen bei Germanys Next Topmodel tatsächlich nicht leicht hatten. Wodurch mir die Sendung keineswegs sympathischer wurde. Pubertierende Hungerhaken, denen verklickert wurde, dass sie noch mehr hungern mussten, um noch mehr Haken zu werden. Natürlich sah ich mir trotzdem jede Folge an, schaufelte dabei Erdbeereis in mich rein und stellte mir vor, was ich Heidi Klum alles vor den Latz knallen würde, wenn ich einer der Haken wäre.
Jedenfalls war es unglaublich anstrengend und frustrierend, in zwölf verschiedene Geschäfte zu rennen und achtundsiebzig Badeanzüge anzuprobieren. Vielleicht waren es ja auch nur drei Geschäfte und elf Modelle, aber wer zählte schon so genau mit.
Fündig wurden wir schließlich ausgerechnet im ärgsten Altweiberladen. Und das noch dazu bei einem Bikini. Erst war ich schockiert über den Vorschlag der Verkäuferin, aber als ich den Bikini anprobiert hatte, sah ich, dass sie sich durchaus etwas dabei gedacht hatte. Die Hose war dunkelgrün und an den Seiten ziemlich breit, was den Übergang zwischen meinem normal gebauten Becken und den Reiterhosen um einiges besser machte. Das Oberteil war ein Bügel-Bikini, weiß mit dunkelgrünen Längsstreifen, die aus den Mäusefäustchen fast schon ganze Mäusefäuste machten. Der Bikini hatte also geschafft, was die Badeanzüge nicht zustande gebracht hatten: er schmälerte unten und voluminierte oben. Gisela reckte den Daumen hoch.