Aschenpummel (German Edition)(69)


Ich knirschte mit den Zähnen. »Ich weiß.«

Gisela nickte mir aufmunternd zu, dann sagte sie: »Und verrätst du mir jetzt noch, warum du dich dann doch nicht aus dem Fenster geschmissen hast?«

»Weil ich leben will«, antwortete ich. »Und weil ich nicht versäumen möchte, was an Schönem vielleicht noch kommen wird.«

Gisela nickte zufrieden und trank ihren Tee aus. »Das sind zwei hervorragende Gründe, Teddy. Vergiss sie nie.«


Ich spürte das Leben in mir. Langsam schien ich alles auf die Reihe zu bekommen. Morgen würde mein Date sein, Mama gab sich zurzeit handzahm, Tissi hatte auch kein leichteres Leben als ich und Vanessa mochte mich ganz ehrlich.

Nur eine Sache lag mir im Magen. Ich musste dem Zahnarzt bei der heutigen Fahrstunde unbedingt Grenzen setzen. Musste ihm sagen, dass es einen anderen Mann in meinem Leben gab. Dass es für ihn und mich keine gemeinsame Zukunft geben konnte.

Ich musste also das allererste Mal in meinem Leben einem Mann das Herz brechen.

Das stellte ich mir so vor:


Ich steige zum Zahnarzt ins Auto. Noch ehe ich mich wehren kann, küsst er mich mit einer Leidenschaft, die loderndstes Feuer entfacht, dessen Glut uns beide zu verbrennen droht. Ich laufe Gefahr, unter seinen Küssen zu ersticken, ihm selbst droht das Herz aus der Brust zu springen. »O Hubertus«, stöhne ich, »Hubertus, wie gern würde ich mich dir hingeben, für immer dein sein, doch –«, ich stocke. Wie soll ich es ihm nur sagen, wo ich doch weiß, wie sehr es ihn schmerzen wird? »Was?«, stößt er hervor. »Liebst du mich denn nicht?« Ich streichle sanft seine Wange und hauche behutsam: »Du wirst eine andere finden, eine, die besser zu dir passt.« – »Es gibt keine andere!« Ich drücke ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und sage: »Es tut mir leid, Hubertus, doch ich liebe einen anderen Mann.« Er fasst sich an die Brust, unsere Tränen laufen im selben Rhythmus die Wangen hinunter, er sagt: »Dann gebe ich dich also frei, du Liebe meines Lebens.« Dann steigt er aus. Ich rutsche rüber auf den Fahrersitz und fahre mein neues Auto nach Hause.


Scheiße! Ich hatte ja ganz vergessen, dass ich den Peugeot auf mich anmelden musste. Himmelschimmel, wie sollte ich denn am Sonntag auf den Kahlenberg fahren, wo doch noch die Nummernschilder vom Zahnarzt draufgeschraubt waren?

Das musste ich irgendwie mit ihm regeln. Also ihm vielleicht nicht gleich von vornherein das Herz brechen, sondern ihn erst bitten, dass er mir das Auto diesen Sonntag ausnahmsweise so überließ.

O Mann, mir blieb auch nichts erspart.

Trotzdem war ich gespannt auf den Abend. Wie es wohl sein würde, mal keinen Korb zu erhalten, sondern einen zu geben?


Um Punkt sieben kletterte ich auf den Beifahrersitz. Der Zahnarzt sah mich nicht an, sondern starrte nur geradeaus durch die Windschutzscheibe. Das kam mir komisch vor.

»Hallo«, sagte ich weitaus koketter, als ich es vorgehabt hatte.

»Hallo«, sagte Strohmann. »Hallo, Teddy.«

Keine »liebste«? Kein Kuss? Kein Mr. Rochester? Verunsichert schnallte ich mich an und ließ mich schweigsam auf unseren Parkplatz auf der Höhenstraße kutschieren.

Schweigsam zumindest die ersten hundert Meter. Dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich war so darauf eingestellt gewesen, die unerbittliche Herzensbrecherin zu spielen, dass seine plötzliche Distanz mich regelrecht enttäuschte.

»Hubertus«, sagte ich und war mir bewusst, dass ich ihn das erste Mal bei seinem Vornamen genannt hatte. »Hubertus, ist irgendetwas passiert?«

Stumm schüttelte er den Kopf, während er seinen Blick auf die Straße gerichtet hielt.

»Sie sind heute so … anders …«

»Ja, das bin ich.«

»Hat das … hab ich irgendwas falsch gemacht?«, fragte ich.

»Nein.«

Okay, das beruhigte mich fürs Erste.

Beim Üben saß er stocksteif neben mir und sah kommentarlos zu, wie ich den Motor abwürgte. Und dann noch mal. Und dann noch mal.

Genug war genug.

»Hubertus, bitte sagen Sie mir, was los ist. Ich bringe gar nichts zustande, wenn Sie so sind. Ist es wegen dem Auto? Wenn Sie es mir doch nicht geben wollen, dann ist das natürlich völlig in Ordnung.« Was konnte ich auch anderes sagen?

Doch der Zahnarzt sagte: »Sie können es gleich heute mitnehmen. Die Ummeldung können wir nächste Woche erledigen.«

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