Aschenpummel (German Edition)(34)



Nachdem ich irgendwann mal alle Themen durchhatte, die auf mich passten, hatte ich begonnen, mich über Probleme zu informieren, die ich nicht hatte:

Endlich Mann sein

Gibt es ein Leben nach dem Wechsel?

Magersucht – lass dich nicht auffressen von der Sucht

Bulimie – das Leben kotzt dich an

Wie entledige ich mich meines Vaters

Nichtraucher forever

Mein Kind spricht nicht mehr mit mir – was tun?

Ratgeber für Single Moms

Handbuch für gestresste Manager

Traumjob Lehrer – Albtraum Schüler

Statt Pillen nur mehr Tic Tacs schlucken


Ja, auch diese Liste war endlos, und das Traurigste war der Grund, aus dem ich mir die Bücher gekauft hatte:

Ich wollte mir diese Probleme aufhalsen. Ich hasste meine eigenen Probleme, also lag die Idee nahe, mir neue zuzulegen. Ich hatte das Nichtraucherbuch gelesen und dabei meine ersten und einzigen Zigaretten geraucht. Ich hatte das Magersuchtbuch verschlungen und dabei eine Fastenkur probiert. Und beim Pillenbuch hatte ich statt Tic Tacs Baldriankügelchen geschluckt, und mir ausgemalt, wie es auf einer Entziehungskur wäre.

So, aber das alles waren Geschichten von gestern und vorgestern und vorvorgestern. Ab jetzt würde ich das Leben einfach angehen. Einfach leben.

Ich seufzte. Das bedeutete vor allem eines: Ich musste die Sache mit Mama regeln.

Ich setzte mich mit Zettel und Stift aufs Sofa und machte eine To-do-Liste. Das erste Mal in meinem Leben. Und das, obwohl ich schon vor zwölf Jahren ein Buch dazu gelesen hatte: To do: Schreiben Sie es auf, dann tun Sie es auch!

Ich schrieb:



Fahre Mama nie wieder am Sonntag auf den Kahlenberg

Lass dich nie wieder von ihr ausspionieren

Grenz dich ab (evtl. Wegziehen?)

Lass dich nie mehr von anderen runtermachen (Tissi, Be-De)

Werde ruhiger, lerne Dinge zu akzeptieren – wenn der Pirat dich nicht will, dann musst du das akzeptieren




Den Nebensatz bei Punkt Nummer 5 strich ich gleich wieder durch. So ein Blödsinn, ich würde doch nicht jetzt, wo meine Chancen um ein Vielfaches gestiegen waren, die Flinte ins Korn werfen.

Als Nächstes strich ich Punkt 1 durch. Es war ein Uhr nachts, der Sonntag hatte also schon begonnen, da wäre es echt nicht fair, Mama abzusagen. Auch wenn ich mich abgrenzen wollte, ein Ekel brauchte ich nicht gleich zu werden.

Danach strich ich die Sache mit dem Wegziehen bei Punkt Nummer 3 durch. Ich mochte meine Wohnung und wollte unbedingt noch das Meer und das rote Segelboot in meinem Schlafzimmer haben. Sollte doch Mama ausziehen.

Okay, viel blieb nicht auf meiner Liste. Aber für mich war es dennoch genug.

Die Nacht dauerte nur noch wenige Stunden und war trotzdem viel zu lang, ähnlich wie die davor. Doch während ich in der Nacht auf Samstag das aufregende Gefühl gehabt hatte, dass durch mein neues Leben und meine neue Einstellung alles Mögliche geschehen konnte, war in der Nacht auf Sonntag schon viel zu viel geschehen, als dass überhaupt noch irgendetwas möglich schien. Solche und ähnlich verworrene Gedankengänge quälten mich und mein Hirn, während ich – meine Jane Eyre fest an die Brust gedrückt – im Bett lag und verzweifelt auf den Schlaf wartete.

Denn schlafen musste ich, sonst würde ich morgen eine noch schlechtere Autofahrerin sein als ohnehin schon, und das Allerletzte, was ich auf der Welt wollte, war mit Mama gemeinsam zu sterben. Ich hätte es nicht ertragen, mit ihr durch den Lichttunnel zu gehen, mit ihr im Himmel zu landen, oder in der Hölle, oder reinkarniert zurück auf dieser Welt, bei meinem Glück noch als Zwillingspärchen oder so.

Es war nach drei Uhr morgens, als ich endlich einschlief. Ich träumte von Spinnen und durchsichtigen Larven, die sich schließlich doch durch meinen Mund schlängelten und meine Schleimhäute als Nistplatz benutzten. Schreiend wachte ich auf und stocherte mir im Mund herum. Es war halb sechs. Ich sprang aus dem Bett und suchte meinen Körper nach Insekten ab. Dieser verfluchte Pirat und sein Buch, dieser liebe, süße, verfluchte Pirat.

Ich hatte Kopfschmerzen, einen richtigen Kater wie im Fernsehen und sehnte mich trotzdem nach einem Long Island Ice Tea. Mit dessen Hilfe hätte ich Mama sagen können, dass ich sie heute nicht auf den Kahlenberg fahren würde. Wäre es denn wirklich so unfair von mir, ihr kurzfristig abzusagen? Es gab doch einen Bus da rauf. Und außerdem, was wenn ich krank wäre? Das war es! Ich war heute einfach mal krank.

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