Aschenpummel (German Edition)(32)



Die Pause dauerte schon wieder zu lange, also fragte ich zaghaft: »Haben Sie hier ein Klo?« Ich musste wirklich und das plötzlich ziemlich dringend.

Der Pirat nickte und deutete auf eine Tür hinter dem Schreibtisch. Er öffnete sie und ging mir voran in ein winziges Zimmer, in dem ein rostiger Eisentisch stand. Nichts weiter. Auf dem Tisch lag eine halb aufgegessene Wurstsemmel. Wie gerne hätte ich von dieser Semmel abgebissen, genau da, wo auch er abgebissen hatte. Vielleicht konnte ich, wenn er mich hier alleine ließ … Doch der Pirat macht keinerlei Anstalten, sich zurückzuziehen. Er öffnete eine weitere Tür an der rechten Seite des Zimmers und machte eine einladende Geste. Ohne ihn anzusehen, huschte ich hinein und schloss die Tür. Sie hatte keine Verriegelung. Schlimmer noch, sie war an der Unterseite offen, wie eine öffentliche Toilette. Ich hob den Rock, zog meine Unterhose runter zu den Knien, auf keinen Fall tiefer, und ließ mich auf die Klobrille sinken. Dabei versuchte ich, möglichst kein Geräusch zu verursachen, was natürlich vollkommen falsch gedacht war, denn umso lauter würde gleich das Plätschern klingen. Und der Pirat ging einfach nicht weg. Unter der Klotür konnte ich immer noch seinen Schatten sehen.

Mein ganzer Unterbauch schmerzte, so dringend war es jetzt. Ich schloss die Augen, steckte mir die Finger in die Ohren, so fest, dass es rauschte, und versuchte mir vorzustellen, dass ich in einem Flugzeug saß. Ganz allein in einem riesigen Flugzeug auf der Toilette, kein Mensch weit und breit, der mich hören konnte, ein menschenleeres Flugzeug, und wenn ich endlich meinen Klogang beendet hatte, dann würde ich auf den Pilotensitz klettern und dieses Flugzeug sicher landen … alles wurscht, Teddy, lass los, lass es laufen … plätscher, plätscher, tropf, tropf, ein ganzer Wasserfall von Tropfen, herrlich, wie es rinnen und rauschen wird …

Ich biss die Zähne zusammen und krallte meine Nägel in die Handinnenflächen. Himmelschimmel, ich schaff es nicht, ich schaff es nicht! Vor Wut über mich hätte ich am liebsten geheult. Ich wusste, ich durfte nicht länger hier drin bleiben, er musste sonst denken, dass ich ein richtiges Geschäft in sein Klo legte und diese Vorstellung war einfach zu schrecklich. Beschämt und frustriert zupfte ich ein bisschen an der Klopapierrolle herum, dieses Geräusch sollte er jetzt hören, ich war schließlich zivilisiert.

Mit beinah berstender Blase betätigte ich die Spülung und öffnete die Tür. Ich stand allein in dem Raum mit dem Eisentisch, der Pirat war drüben bei seinen Büchern und sein vermeintlicher Schatten stellte sich als Tischbein heraus.

Sollte ich es nochmal versuchen, jetzt wo die Luft rein war?

»Frau Kis, ich hab Ihnen gar nichts zu trinken angeboten. Möchten Sie vielleicht ein Glas Wasser? Etwas anderes habe ich leider nicht.«

Drei Dinge, die zu beachten waren:

Erstens: Natürlich war ich am Verdursten, sicher wegen der Erdnüsse, des Long Island Ice Teas und der anschließenden Kotzerei.

Zweitens: Natürlich durfte ich keinen weiteren Schluck Flüssigkeit zu mir nehmen, sonst würde meine Blase endgültig platzen.

Drittens: Natürlich musste ich das Angebot annehmen, die Chance eines seiner Gläser zu benutzen, durfte ich nicht ungenutzt lassen, wo es schon mit der Wurstsemmel nicht geklappt hatte.

»Wasser, bitte.«

Während ich an meinem Glas nippte, das er aus seiner Schreibtischschublade gezogen und mit Wasser aus dem Klowaschbecken gefüllt hatte, dachte ich darüber nach, dass nirgends – auch nicht im Hinterzimmer – ein Foto oder sonst irgendetwas Privates zu finden war, von der Wurstsemmel einmal abgesehen.

Mir kam ein Gedanke, ein wichtiger, interessanterweise war es das erste Mal, dass ich daran dachte, komisch eigentlich. Und ich musste diesen Gedanken auch gleich laut aussprechen, so panisch und plötzlich wie er gekommen war.

»Haben Sie Kinder, Herr Nemeth?«

Er schüttelte den Kopf. Ich hätte am liebsten gelacht vor Erleichterung. Ohne Kinder war die Trennung von einer möglichen Partnerin viel leichter.

»Ich hab auch keine«, gab ich überflüssigerweise von mir, es hatte mich schließlich kein Mensch danach gefragt. Jetzt die Frage aller Fragen.

»Und äh –«, begann ich, »ähm, Ihre Frau? Hmm?«

Er runzelte die Stirn. Ich sog die Luft ein, ein bisschen zu laut vielleicht, und ergänzte: »Oder … oder ist sie Ihre Freundin …«

»Wer?«, fragte der Pirat, und die Furchen auf seiner Stirn wurden so tief, dass ein Marienkäfer hätte hineinfallen können. Ich schwitzte Blut. Frag doch nicht wer, du lieber, süßer Dummkopf. Sag nur ob. Doch er sagte nichts, er sah mich nur an, und wieder einmal war es an mir, die Situation zu retten. »Na, ich dachte nur …«, stammelte ich, worauf er sein übliches »Aha« erwiderte.

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