Aschenpummel (German Edition)(28)
Weiter kam er nicht, in dem Moment passierte das Unausweichliche. »Fahrscheinkontrolle.«
Fast hätte ich aufgeschrien. Mir wurde heiß, und ich bekam vor Schreck kaum Luft. Während der Pirat seinen Fahrausweis zückte, kramte ich hektisch in meiner Handtasche herum und murmelte in einem fort: »Wo ist er nur, wo hab ich ihn denn, wo ist er nur, wo hab ich ihn denn …« Natürlich hatte ich keinen Fahrausweis. »Hmm, ich hab auch einen Fahrausweis, aber anscheinend hab ich ihn heute leider vergessen.«
»Na, dann steig’ma aus. Flott.«
Aliens, bitte, bitte. Die U-Bahn hielt, und der Kontrolleur scheuchte uns auf den Bahnsteig: »Dalli dalli, die Herrschaften!«
Ich hätte weiß Gott was darum gegeben, einfach bewusstlos zu werden. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, einen erneuten Schwächeanfall zu erleiden, doch dann würde am Ende jemand die Rettung rufen, und aus wär’s mit dem abendlichen Besuch im Buchgeschäft.
So standen also der Pirat und ich mit der diensteifrigen Obrigkeit auf dem Bahnsteig und ich musste meinen Namen, die Adresse und Telefonnummer sagen und meinen Ausweis vorzeigen. Das nächste Problem, ich hatte keinen Ausweis dabei.
»Ham’ Sie keinen Führerschein?«, fragte der Kontrolleur schon recht genervt.
Peng, genau ins Schwarze. »Natürlich hab ich einen Führerschein, ich fahre ja Auto, aber ich hab ihn eben nicht mit. Der ist in meiner zweiten Geldbörse, zusammen mit dem Fahrausweis.«
»Na, dann gemma halt auf die Polizeistation.«
Neineinein, keine Polizei. Wenn dort noch mal mein Führerschein zur Sprache käme … »Ich – schauen Sie, ich hab diese Mitgliedskarte von der Bibliothek …«
»Das, was wir brauchen, ist ein amtlicher Lichtbildausweis, meine Dame.«
Plötzlich mischte sich der Pirat ein. »Wo ist denn bitte das Problem? Sie hat Ihnen doch alle Daten genannt und auf der Mitgliedskarte steht ja wohl ihr Name, das müsste doch reichen.«
Natürlich reichte so etwas ohne Foto drauf nicht, ich hätte die Börse ja gestohlen haben können, aber der Schaffner schien allmählich die Nase voll von mir zu haben und die Geschichte beenden zu wollen.
Der Pirat rückte seine Augenklappe zurecht, woraufhin unser neuer Bekannter ihn angewidert betrachtete und meinte: »Ihr seid’s mir ein schönes Pärchen.«
Instinktiv ging ich in Verteidigungshaltung und schnauzte den Uniformierten an: »Haben Sie ein Problem mit uns?«
»Ich hab kein Problem, ich werd ja keine siebzig Euro zu bezahlen haben, falls ich doch keinen Fahrausweis besitze.« Er kritzelte noch etwas auf seinen Block und drückte mir dann einen Zettel in die Hand. »Melden. Dort. So bald wie möglich. Verstanden?«
Ich starrte ihn finster an, alle Sorgen wegen der Polizei und meines nicht existenten Führerscheins waren vergessen. Ich antwortete: »Werd ich. Machen. Verstanden.«
Der Pirat griff nach meinem Arm und zog mich fort. Ich erschauerte unter seiner Berührung. Wir fuhren mit der Rolltreppe nach oben, und ich kaufte einen Fahrschein am Automaten. Danach stiegen wir die Treppe hinunter und warteten auf die nächste U-Bahn.
Ich sah ihn an. »Es tut mir sehr leid, dass Sie wegen mir aussteigen mussten.«
Er schüttelte den Kopf. »Das macht doch nichts. Aber Sie sollten sich nicht mit Leuten anlegen, die am längeren Hebel sitzen.«
»Wieso nicht?«, brauste ich auf. Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Der Umstand, dass ich in der Tat schwarzgefahren war, schien mir vernachlässigbar. Außerdem fand ich es befremdlich, dass der Pirat Auseinandersetzungen so sehr zu scheuen schien. Vollmundig behauptete ich: »Ich wehre mich immer, wenn es angebracht ist.«
Wieder schüttelte er den Kopf. »Irgendwann werden Sie das aufgeben.«
»Nie«, antwortete ich fest. »Es ist absolut wichtig, für seine Prinzipien zu kämpfen. Absolut, absolut, absolut wichtig.« Er sah mich merkwürdig an. Ich blickte herausfordernd zurück und fragte: »Finden Sie das nicht?«
Er senkte den Blick und starrte auf die Gleise. »Nicht mehr.«
Damit schien die Diskussion für ihn beendet. Er verfiel wieder in Schweigen, und ich hatte Zeit, mich mit dieser vollkommen neuen Seite auseinanderzusetzen, die ich gerade an mir entdeckt hatte.
Wir mussten einmal umsteigen, um an unser Ziel zu kommen. Die ganze Zeit über hielt ich den frisch erworbenen Fahrschein fest in der Hand, bereit, ihn dem nächsten Schaffner unaufgefordert unter die Nase zu halten. Es kam jedoch keiner. Der Pirat schwieg, als hätte er ein Gelübde abgelegt, von ihm kam lediglich ein kleines Nicken, wenn unsere Blicke sich zufällig trafen. Wieder dachte ich, dass irgendetwas heute Abend anders war an ihm.