Aschenpummel (German Edition)(23)
Ich hatte sogar zweitausend Euro auf der Seite, was mehr als zehntausend Schilling war. Aber nicht mal diese zweitausend Euro konnten reichen, um ein Automatikauto zu bekommen. Und was anderes ging nicht. Ich war noch nie mit Gangschaltung gefahren, nicht ein einziges Mal in meinem Leben. Auch nicht in der Fahrschule. Weil ich nie in der Fahrschule war. Folglich nie eine Führerscheinprüfung gemacht habe. Was einer der Gründe ist, warum diese sonntäglichen Ausflüge für mich so qualvoll waren.
Und jetzt wollte der Zahnarzt mir Fahrstunden geben. Ab nächstem Dienstag schon. Vier Abende hintereinander. Wo ich doch nicht nur die mir eigene Ungeschicklichkeit fürchten musste, sondern vor allem auch jede Polizeikontrolle.
In der Affenhitze Spaghetti zu essen war keine gute Idee gewesen. Es benötigte schon eine Riesenportion Erdbeereis, um mir Abkühlung zu verschaffen. Trotzdem fühlte ich mich danach elend. Ich war vollgestopft und konnte nichts anderes mehr tun, als auf morgen zu warten.
Nein, Teddy, du wirst nicht den Piraten anrufen. Nein, nein, nein! Aber was, wenn ich wieder mal an seiner Wohnung vorbeispazierte? Das machte ich öfter, immer mit einer großen Kapuze über dem Kopf und aufgesteckten Sonnenblenden auf der Brille. Ha, und genau das würde sich heute ändern! Ich sprang vom Sofa und stürzte ins Bad. Carpe diem, Teddy! Du wirst dich so toll herrichten, wie du dich in deinem Leben noch nicht hergerichtet hast! Hatte nicht irgendjemand mal behauptet, dass jede Frau schön sein konnte, mit genügend Schminke im Gesicht?
Ich kleisterte mir das Gesicht zu. Ich hantierte zwanzig Minuten mit Pinselchen und Wattestäbchen herum, bis ich schließlich zwei halbwegs anständige Striche links und rechts auf den Oberlidern hatte. Ich stimmte sogar die Farbe des Lippenstifts auf die meines T-Shirts ab. Rot.
Für untenrum wählte ich einen schwarzen Rock aus festem Stoff, der zwar viel zu heiß für die Jahreszeit war, aber die Dellen halbwegs unter Kontrolle hielt. Trotzdem zog ich ein Miederhöschen drunter an. Meinen BH hatte ich mit jeweils drei Pölsterchen pro Seite ausgestopft, was mir gerade mal ein zartes B-Körbchen bescherte.
Die Haare toupierte ich mir so lange auf, bis sie ganz verfilzt waren, aber wenigstens sahen sie jetzt nach mehr aus.
Ich war mit dem Ergebnis recht zufrieden. Nicht, dass ich richtig gut ausgesehen hätte, aber zumindest anders als sonst, und das war ja der Sinn der Übung.
Meine Geldbörse und das Handy steckte ich statt wie sonst in meinen Rucksack in eine zum Rock passende schwarze Handtasche, von der ich hoffte, dass man ihr nicht gleich ansah, dass sie aus Plastik war.
Ich schlüpfte in rote Flip-Flops und stellte mich abschließend noch einmal vor den Ganzkörperspiegel. Lippen vor, Wangen leicht einsaugen, geheimnisvoller Blick von schräg unten. Ja, ich wirkte tatsächlich anders als sonst.
Vorsichtig schlüpfte ich aus der Tür und versuchte, sie so leise wie möglich zu schließen. Nach dem ersten Flappen, das meine Schlapfen verursachten, zog ich sie aus, nahm sie in die Hand und schlich barfuß die Wendeltreppe hinunter. Ich war im zweiten Stock, als ich die Tür von unten aufgehen hörte. Mama. Sie musste irgendwas mitbekommen haben.
Ohne lange zu überlegen, drehte ich um und lief die Treppe wieder hinauf. So leise wie möglich sperrte ich meine Tür auf, wobei das ja auch schon egal war. In der Wohnung angekommen, schmiss ich mich auf mein Bett und starrte finster an die Zimmerdecke. Sollte sie mir morgen blöd kommen, dann würde ich ihr nicht nur sagen, dass sie sich die Sonntagsfahrten in Zukunft sonst wohin stecken konnte, sondern auch, dass sie mir nie, nie wieder nachspionieren durfte! Verdammt! Ich drehte mich auf den Bauch und kreischte in mein Kopfkissen. Heute noch, und nur noch heute, würde ich sie in Ruhe lassen. Aus Rücksicht auf sie würde ich erst in der Nacht meine Reise zum Piraten antreten, noch leiser und noch heimlicher, als ich es jetzt versucht hatte. Aber ab morgen würde die Schonung vorbei sein. Aus und vorbei, für immer. Ab morgen würde es zwischen meiner Mutter und mir nur noch die bittere Wahrheit geben. Und sollte sie an gebrochenem Herzen sterben, dann war ich auch nicht schuld daran.
»Wurscht«, flüsterte ich. »Alles wurscht.«
Ich wartete, bis es zehn Uhr war. Die Zeit bis dahin vertrieb ich mir vor dem Spiegel. Ich hatte meine alte Lambada-Kassette in den Rekorder geschoben und tanzte den verbotenen Tanz voll sündhafter Sinnlichkeit, wie ich selbst fand. Immer, wenn ich vor dem Spiegel tanzte, kam ich mir sexy vor. Immer. Das Blöde war nur, dass ich unter Menschen noch nie getanzt hatte und mir normalerweise schon das Stehen und Gehen in Gesellschaft Probleme bereitete. Wie konnte jemand, der sich so lasziv vor dem Spiegel bewegte, einen Gang haben wie ein Roboter auf Stelzen?