Aschenpummel (German Edition)(22)



»Ja«, antwortete er. »Genau das werden wir machen. Übrigens, ich bin der Hubertus.«

Nicht lachen, Teddy! »Ich bin die Teddy«, brachte ich stockend hervor.

Er rückte etwas näher und raunte: »Vertrauen Sie mir, Teddy. Ich bin ein guter Lehrer.«

Ich hatte keine Ahnung, ob er das beabsichtigt hatte, aber ich konnte auf einmal an nichts anderes denken als an die Lehren des Kamasutra.


Irgendwie schaffte ich es ins Auto. Der Fahrersitz war heiß, und obwohl ich wusste, dass die Sonne dafür verantwortlich war, spürte ich regelrecht den Gesäßabdruck des Zahnarztes unter mir. So bescheuert wie die paar hundert Meter nach Hause war ich in meinem ganzen Leben nicht gefahren. Ich dankte Gott dafür, dass noch kein Fahrlehrer neben mir saß. Ich verwechselte Brems- mit Gaspedal und vergaß bei beiden Gassen, die ich passierte, dass ich keine Vorfahrt hatte. Zum Abschluss brachte ich es fertig, mich in der fünf Meter langen Parklücke mit dem Vorderrad auf den Gehsteig zu stellen.

Mein Kopf wackelte vor Aufregung. Was wollte der Zahnarzt von mir? Ich hatte doch nichts. Ich war nicht reich, nicht schön, hatte weder berühmte Verwandte noch sonst was vorzuweisen. Doch irgendetwas an mir musste für ihn interessant sein.

Bestand die Möglichkeit, dass ich mich seit der letzten Nacht derart geändert hatte, dass mich plötzlich eine faszinierende Aura umgab? Etwas wahnsinnig Anziehendes, dem niemand widerstehen konnte? War ich durch den Beschluss, mein Leben von einer vollkommen neuen Seite anzugehen, zu einer Art Persönlichkeit geworden? Ich lachte leise vor mich hin und fand es seltsam, dass es wie ein Meckern klang. So sollte das Lachen von großen Persönlichkeiten nicht klingen.

Verwirrt und leicht euphorisch stieg ich die Wendeltreppe bis in den fünften Stock hinauf. Ich sperrte meine Wohnung auf und stellte mich gleich mal vor den Ganzkörperspiegel im Vorzimmer. Ich sah aus wie immer. Ich lachte noch einmal so wie vorhin, als ich mit dem Zahnarzt gesprochen hatte, und erstarrte.

In jeder erdenklichen Ritze zwischen meinen Zähnen pickte Mohn! Es sah aus, als hätte ich eine ganze Ameisenfamilie gefressen. O Gott, hatte ich ihm heute Morgen auch meine Zähne gezeigt? Ob er sich daran erinnerte? Bitte, bitte, er musste einfach wissen, dass schwarz zwischen den Zähnen nicht Standard bei mir war. Doch wie stark musste diese neue Aura um mich herum eigentlich sein, dass er sich nicht mal durch die Ameisenstückchen hatte abschrecken lassen?

Mit dem Fingernagel stocherte ich in den Ritzen herum. Anschließend saugte ich den angesammelten Mohn unter meinem Nagel zurück in den Mund. Irgendetwas sagte mir zwar, dass diese Vorgehensweise nicht ganz dem Bild der neuen Traumfrau Teddy entsprach, doch solange mich keiner dabei sah …

Natürlich war es dumm und naiv von mir, zu glauben, dass ich von einer Nacht auf die andere die Gabe erhalten hatte, die Menschen um mich herum zu verzaubern, natürlich, natürlich, natürlich. Aber was, um Gottes willen, hätte ich denn sonst denken sollen? Der Pirat war heute das erste Mal von sich aus zu mir gekommen. Vanessa wollte meine Freundin sein. Und der Zahnarzt schenkte mir ein Auto! Und sosehr ich mich auch bemühte, irgendwelche bösen Hintergedanken aus all diesen Aktionen herauszulesen, ich fand sie nicht.

Ich zog meinen Rock aus, fischte die Sporthose aus meinem Rucksack und quetschte mich hinein. Zwei überdimensionale, hellgraue Hühnerkeulen, das waren meine Schenkel in der Damen Running Dreiviertel Tights. Und so hatte der Pirat mich heute gesehen. Shiti. Was hatte dieses tolle Schicksal eigentlich noch an Zumutungen für mich parat?

Nachdem ich ja schon Mohnkuchen gefuttert hatte, war die Diät für heute wohl ohnehin gelaufen. Also nahm ich Gehacktes aus dem Kühlschrank, brutzelte es in der Pfanne an und goss eine große Dose geviertelte Tomaten darüber. Dazu kochte ich mir dreihundert Gramm Spaghetti. Die Krönung war ein Päckchen geriebener Parmesan. Ich setzte mich auf mein rotes Sofa und zog mir die Spaghetti mit einer halben Folge Beverly Hills rein. Dieses neue Beverly Hills, das nur noch 90210 heißt und in dem Brenda und Kelly uralt sind. Ich bekam jedoch kein Wort davon mit. Die verwirrten, guten Gefühle, die mir dieser Tag beschert hatte, verflogen langsam, und was blieb, war die Angst vor morgen.

Noch hatte ich ja keinen Zahnarztwagen. Noch hatte ich mein altes Auto, das den Weg auf den Kahlenberg höchstwahrscheinlich nicht noch einmal schaffen würde. Und was dann? Mama war sehr deutlich geworden letzten Sonntag. Ich sollte das Auto reparieren lassen, und wenn das nicht ging, dann eben ein neues kaufen. Zehntausend Schilling, hatte sie gemeint, zehntausend Schilling würde ich ja wohl auf der Seite haben, und dieser Betrag müsse ja wohl für einen guten Gebrauchtwagen reichen.

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