Aschenpummel (German Edition)(18)
Ich verzog das Gesicht und ließ den Kopf fallen.
Als ich den Kopf wieder hob, wurde es beängstigend.
Tissi/Tira vs. Vanessa.
Zwei hochgewachsene, kurvige Göttinnen in Designerklamotten, die sich fixierten wie Löwenmütter, die ihre Jungen verteidigen. Das Junge war natürlich das Schönheitskrönchen.
Mit zitternden Knien sank ich auf meinen Hocker. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich einen Vorteil darin, zu den Unscheinbaren zu gehören. Mir war fast schlecht vor Erleichterung, mit dieser Sache nichts zu tun haben zu müssen.
Und dann wurde es gespenstisch.
»Aaaah, ist das die neue Pradatasche. Die ist doch noch gar nicht auf dem Markt?!«
»Kontakte.«
»Sind Sie in der Modebranche?«
»Nein, nein, das ist ein persönlicher Gefallen, den jemand von Prada mir macht. Der Verrückte sieht mich als Model, haha. Im richtigen Leben bin ich allerdings Psychologin, Dr. Tira Kis, sehr angenehm.«
Hallo? Hallooo? Wo war der Hass zwischen den beiden geblieben? Wo der Neid?
»Und was haben Sie studiert?« Aha, meine kluge Schwester wusste augenscheinlich sofort, wie sie sich noch einen weiteren Vorteil verschaffen konnte.
Doch auch Vanessa war mit allen Wassern gewaschen. »Publizistik. Allerdings nicht bis zum Doktortitel. Kaum war ich Magistra, da hatte ich schon ein Angebot von der Cosmopolitan, sie wollten mich unbedingt haben. Also bin ich mit dreiundzwanzig nach München gegangen und habe dort bis vor kurzem gelebt. Eine aufregende Zeit, viele Reisen, interessante Begegnungen und so. Aber wissen Sie, irgendwann ist man doch aus dem Alter raus, in dem es nur um die Oberfläche geht, oder? Ich wollte etwas Sinnvolles machen. Jetzt arbeite ich im medizinischen Bereich. Es bedeutet mir so viel, den Leuten die Hand zu halten, sie in ihrer schwersten Stunde zu trösten. Es gibt mir das Gefühl, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.«
Ich war baff. Dieses Luder. Falls Tissi durch Vanessas Antwort aus dem Konzept gebracht worden war, so ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Im Gegenteil, es schien fast so, als würde die unvermutete Ebenbürtigkeit sie sogar noch beflügeln.
»Ich verstehe Sie so gut«, gurrte sie vertraulich, »bei uns in der Psychologie nennt man dieses Phänomen ›Helfersyndrom‹. Sie sollten unbedingt in meiner Praxis vorbeikommen. Wo habe ich denn meine Karte? Egal. Sie finden mich auf Facebook. Sie sind doch auf Facebook, nehme ich an?«
»Natürlich. Sie werden übrigens meine eintausendvierhundertneunundachtzigste Freundin sein.«
»Süß. Ehrlich gesagt habe ich bei zweitausend aufgehört zu zählen. Doch vermutlich sprechen wir von etwa viertausenddreihundertsiebenundneunzig.«
Vanessa zuckte zusammen, fing sich jedoch rasch wieder. »Ich bestätige nicht jede Freundschaftsanfrage. Meine bisherigen eintausendvierhundertachtundachtzig kenne ich alle tatsächlich auch im wahren Leben.«
Tissi senkte den Blick. »Auf meine heutige Statusmeldung habe ich neunhundertdreiundvierzig Gefällt mir erhalten.«
»Und ich habe für mein neues Profilbild sechshundertdreizehn Gefällt mir bekommen und vierhundertneun Kommentare. Nicht, dass ich auf so etwas Wert legen würde …«
»Doch, doch, das tun Sie. Viel zu viel. Sie müssen sich einfach unter meine Fittiche begeben. Bevor ich es vergesse, woher kennen Sie denn eigentlich meine Schwester Teddy?«
»Schwester?« Vanessa war sichtlich fasziniert. Sie konnte gar nicht oft genug von Tissi zu mir und von mir zu Tissi schauen. »Sachen gibt’s«, flüsterte sie schließlich ehrfürchtig. Um gleich darauf wissenschaftlich zu werden: »Diese Genetik …«
»Nicht wahr?« Tissi kicherte amüsiert. »Und es kommt noch besser: Ich bin die Ältere.«
Hätte ich bis dahin ein anderes Leben gehabt, wäre ich gekränkt gewesen. So aber saß ich seelenruhig auf meinem Hocker und staunte selbst mal wieder über den Spaß, den Mutter Natur sich mit uns Schwestern erlaubt hatte. Man konnte es wirklich niemandem verübeln, wenn er die Verwandtschaft anzweifelte.
Tissi schnippte mit den Fingern. »Teddy, Mama hat mich heute schon wieder angerufen, weil du dich nicht anständig um sie kümmerst. Tu das bitte endlich mal. Ich habe fünf Tage die Woche damit zu tun, mir das Gejammer von irgendwelchen Leuten anzuhören«, sie schenkte Vanessa ein zuckersüßes Lächeln, »- nichts für ungut, meine Liebe –, da brauche ich am Wochenende wirklich meine Ruhe.«