Aschenpummel (German Edition)(24)



Ein letzter wogender Hüftschwung, dann toupierte ich die Haare frisch auf und zog mir die Lippen noch einmal nach.

Nacht, ich komme. Carpe diem, Teddy. Und veni, vidi, vici.





6



Ich war Maria aus der West Side Story. Doch halt, wahrscheinlich war genau das das Problem. Nicht die scheue, gute Maria sollte ich sein, sondern ihre Schwägerin, die feurige Rita. Ich flip-flopte durch die U-Bahnstation, den Kopf hocherhoben, die Lippen geschürzt. Mein Herz klopfte zum Zerspringen, aber das sah ja keiner.

Es war ein völlig neues Erlebnis für mich, spätabends mit der U-Bahn zu fahren. Samstag, zweiundzwanzig Uhr. Um die Zeit schlief ich normalerweise vor dem Fernseher ein. Alle anderen anscheinend nicht. Die U-Bahn war gerammelt voll, und neben den ganzen Tussis, die sich fürs Ausgehen schick gemacht hatten, kam ich mir plötzlich fürchterlich unscheinbar vor. Trotz rotem Oberteil und roten Lippen. Außerdem hatte ich das Gefühl, mein Jungfernhäutchen mitten im Gesicht zu tragen. Ich reckte die Mäusefäustchen nach vorne. Ach, hätte ich bloß die Haare noch höher auftoupiert.

Am Naschmarkt stieg ich aus. Zwischen fünfzig anderen Leuten. Wie immer spürte ich mein Aufregungsbauchweh, und das, obwohl ich noch einige hundert Meter bis zur Wohnung des Piraten zurückzulegen hatte. Seine Adresse hatte ich – genau wie seine Telefonnummer – ein einziges Mal, und zwar vor vier Monaten, nachgeschlagen, und ich wusste, dass ich sie nie, nie würde vergessen können. Doch begegnet war ich ihm hier noch nicht. Auch wenn ich mir jedes Mal sicher gewesen war, dass es aber diesmal wirklich passieren würde.

Vor Nummer 106 blieb ich stehen. Sollte ich irgendwo klingeln und so versuchen ins Haus zu gelangen? Drin gewesen war ich bisher nie. Von hinten hörte ich Schritte. Ich fuhr herum und sah einen jungen Mann auf mich zukommen. Beflissen machte ich ihm Platz, damit er die Tür aufsperren konnte, zum Mithineingehen war ich allerdings zu lahm. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Blöd. Das wäre die Chance gewesen. Voll verbockt.

Unverrichteter Dinge wieder heimfahren und die ganze Nacht voller Panik wach liegen und auf morgen warten, war so ziemlich das Letzte, worauf ich Lust hatte. Ich guckte nach oben zu den Fenstern. Ein Zeichen, bitte, ein Zeichen. Von oben kam nichts. Hmm … ich blickte auf die andere Straßenseite. Das Einzige, was dort ins Auge stach, war ein beleuchtetes Schild, auf dem das Wort »Einrahmen« stand. Der lauten Musik und den Silhouetten hinter den Fenstern nach zu urteilen, handelte es sich dabei um ein Lokal.

War das mein Zeichen? Der Pirat wohnte direkt gegenüber, wahrscheinlich war er schon mal in dem Lokal gewesen, oder? Vielleicht war er ja sogar jetzt gerade drin. Aber ich in einem Nachtlokal? In einer Bar? Wurscht. Energisch schritt ich über die Straße. Ich zog die Tür vom Einrahmen auf, bevor die Feigheit Zeit hatte, mich einzuholen. Sollten sie mich doch alle angaffen, wenn ich eintrat. Sollten sie mit dem Finger auf mich zeigen, mich beleidigen und auslachen, ich würde mit erhobenem Kopf und geradem Rücken an ihnen vorbeimarschieren. Ich, die Braut des Piraten.

Und dann stand ich im Einrahmen. Keiner würdigte mich eines Blickes. Direkt vor mir rieb eine junge Frau ihren dünnen Körper an einem Mann, dessen Haare bis zum Hintern reichten. Es war volles, glänzendes Haar, und ich hätte sofort mit ihm getauscht. Die Dünne rief mir irgendetwas zu, das ich aber nicht verstehen konnte, weil die Musik viel zu laut war. Eifrig beugte ich mich zu ihr. Sie wiederholte ihren Satz, irgendwas mit »eilig« und »bitte«. Ich signalisierte ihr, dass ich noch immer nicht verstanden hatte, und hielt ihr mein Ohr hin. Daraufhin bündelte sie alle Kräfte, die ihr dürrer Körper aufbringen konnte, in ihre Stimme und brüllte mich an: »Ich sagte, geil dich bitte woanders auf!«

Ich zuckte zurück. Es kam mir gar nicht in den Sinn, mich zu verteidigen, was hätte ich auch sagen sollen – dass ich auf die Haare von ihrem Freund neidisch war? Ich wollte einfach nur weg von den beiden. Ich zwängte mich durch die vielen Menschen nach hinten, dorthin, wo ich Tische vermutete. Irgendwo alleine sitzen und den Kopf in die Speisekarte stecken. Tische fand ich schon, allerdings nur diese hohen, zum Stehen. An der Bar war ein Hocker frei, ziemlich in der Mitte.

Ich hatte noch nie zuvor an einer Bar gesessen, und eigentlich wäre ich in diesem Moment lieber gestorben als mich dort niederzulassen. Doch wie, Teddy, wie willst du jemals etwas mit Mama oder dem Piraten oder sonst was ändern, wenn du nicht mal das schaffst? Wurscht, Teddy, wurscht. Ich drängte mich also nach vorne an die Theke und kletterte auf den Hocker, der anscheinend nichts anderes im Sinn hatte, als mich schnell wieder abzuwerfen. Er schwankte, und ich musste mich mit beiden Händen an der Bar festhalten, um nicht umzukippen.

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