Aschenpummel (German Edition)(33)
Ach verdammt, das war alles so sinnlos und in den nächsten Sekunden würde außerdem meine Blase explodieren. Ich nahm meine Jane Eyre und drückte sie an die Brust. »Wie viel schulde ich Ihnen?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Nichts, ich möchte sie Ihnen schenken.«
»Danke«, flüsterte ich.
Der Pirat sperrte das Geschäft ab. Ich stand daneben und konnte den Blick nicht von seinem Gesicht wenden. Wie er wohl lachend aussehen würde? Oder ohne Augenklappe?
»Sie können mir ruhig sagen, warum Sie die Augenklappe tragen. Ich verstehe alles«, platzte es aus mir heraus.
Er antwortete nicht, senkte nur den Kopf und schlug schweigend den Weg in Richtung Straßenbahnstation ein. Gott, der Mann machte mich fuchsteufelswild. Der war ja noch mühsamer als ich selbst!
Ich lief ihm nach, wobei ich wegen meiner Blase bereits nahe dran war, das Bewusstsein zu verlieren.
»Dann sagen Sie mir wenigstens, was mit der Buttersäure in den Sechzigern war«, rief ich trotzig. Jetzt sah er mich an.
»Das war in den Siebzigern.«
»Okay. Und?«
Er blieb stehen. »Frau Kis, vertrauen Sie mir?«
»Ja«, sagte ich. Und ich liebe dich, ich liebe dich.
»Dann kommen Sie am Montagabend zu mir ins Geschäft.«
»Ja«, wiederholte ich artig und nickte so lange und so eifrig, bis er hinzufügte: »Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen.«
In dem Moment kam die Straßenbahn.
Wir saßen nebeneinander auf einem Zweiersitz, doch ich konnte die Nähe zu ihm nicht genießen. Schließlich hielt ich es nicht länger aus.
»Wen?«, stieß ich hervor. Seine Frau? Seine Freundin? Irgendeinen Typen für mich, damit ich ihn endlich in Ruhe ließ?
»Vertrauen Sie mir«, wiederholte er. Und das war das Letzte, das er sagte, bis ich aussteigen musste.
»Auf Wiedersehen, Frau Kis.«
»Auf Wiedersehen, Herr Nemeth.« Ich stieg aus, schritt hoheitsvoll neben der anfahrenden Straßenbahn her, und als sie verschwunden war, stürmte ich das erstbeste Lokal und verewigte mich in der Kloschüssel dort mit mindestens zwei Litern.
9
Es war halb eins, als ich die Stiegen hinaufschlich. Natürlich war es ein Triumph, unbemerkt an Tür Nummer drei vorbeizukommen, doch mir war gar nicht nach Feiern zumute.
Wen wollte er mir vorstellen? Sicher hatte das nichts mit der Buttersäuregeschichte zu tun, oder? Ich wollte niemand Neuen am Montag kennenlernen, ich wollte allein sein mit dem Piraten.
Vollkommen aufgelöst kam ich in meiner Wohnung an. Dort dann gleich der nächste Schlag: Die Wimperntusche hatte beschlossen, meine Augenpartie zu verlassen und dafür den Rest meines Gesichts in Beschlag zu nehmen. Dafür hatte der Lippenstift sein Versprechen, meinen Mund voluminöser erscheinen zu lassen, nicht nur gehalten, sondern sogar noch eins draufgelegt: Ich sah aus wie der Joker.
Und überhaupt – ich brauchte eine Schönheitsoperation! Zumindest Fett absaugen und Busen vergrößern. Das konnte in meinem Fall doch gar nicht so viel kosten. Die sollten mir einfach das Fett von den Oberschenkeln in den Busen stopfen. Das gäbe eine originelle Körbchengröße, K oder Q oder so.
Okay, Teddy, mahnte ich mich, komm runter. Du hast heute mehr erlebt als in den ganzen zweiunddreißig Jahren bisher. Du hast jetzt einen echten Draht zum Piraten. Du bekommst ein Auto geschenkt, und das noch dazu von einem Typen, auf den alle Frauen scharf sind. Das sind Gründe zum Feiern.
Und ich blöde Kuh war noch immer nicht glücklich!
Wenn ich alle Lebensratgeber, die ich je gelesen hatte, auf einen Stapel stellen würde, wäre ein Sprung von dieser Bücherturmspitze garantiert tödlich. Man frage mich nach irgendeinem Psychothema, egal nach welchem – ich schwöre mit erhobenen zwei Fingern, dass ich ein Buch dazu gelesen habe.
Vielleicht ein kurzer Auszug:
Endlich Mut zum NEIN sagen
Endlich Mut zum JA sagen
Wie entledige ich mich meiner Probleme
Wie entledige ich mich meiner Probleme in zehn Tagen
Wie entledige ich mich meiner Mutter
Die Befreiung zur Sexualität
Ich bin stark
Endlich Frau sein
So werden Sie nie mehr gemobbt
Hilfe in allen Lebenslagen
Et cetera, et cetera, et cetera.