Aschenpummel (German Edition)(35)
10
Zwei Stunden, drei Kaffees und ein Erdbeereis später läutete ich bei Mama. Fünf Minuten danach saßen wir im Fiat und waren auf dem Weg zum Kahlenberg.
»Du schwitzt, Thaddäa. Und du weißt auch, warum du schwitzt, nicht wahr, Thaddäa? Zehn Kilo weniger, vielleicht auch zwanzig oder dreißig, und du würdest nicht mehr so schwitzen. Ich meine es nur gut mit dir. Wie viel wiegst du mittlerweile? Neunundsiebzig Kilogramm?«
Ich zuckte zusammen, so treffend war ihre Schätzung.
»In deinem Alter habe ich achtundvierzig Kilogramm gewogen. Genauso wenig wie mit zwanzig und genauso wenig wie jetzt.« Sie fuhr mit dem Zeigefinger über das Armaturenbrett und betrachtete ihn anschließend prüfend. Mein Auto war das bestgeputzte der Stadt, Mama bestand schließlich auf penibelste Sauberkeit. Trotzdem sagte sie: »Das Auto ist auch dreckig.«
Ich starrte auf die Straße, konnte Mama höchstens aus dem Augenwinkel sehen, bekam ihren kummervollen Blick jedoch intuitiv mit.
»Es ist nur zu deinem Besten, wenn ich dich ans Abnehmen erinnere. Schließlich willst du doch auch einmal einen Mann abkriegen, oder?«
»Mama …«
»Mama hat es nicht leicht mit dir, Thaddäa.«
»Ja, Mama.«
»Tirza habe ich auf die Universität geschickt, sie ist ja die Kluge. Du solltest mir Enkelkinder schenken, Thaddäa. Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich nach Enkelkindern sehne? Wie gut deiner Mama ein bisschen Leben in ihrem Umfeld tun würde? So schwach wie mein Herz in letzter Zeit ist, habe ich keine Ahnung, wie lange ich euch noch mit meiner Gesellschaft auf Erden erfreuen kann. Da gibt es keine Zeit zu verlieren. Nicht auszudenken, wenn deine Kinder ihre liebe Oma nicht mehr kennenlernen dürften.«
»Mama …«, sagte ich und ärgerte mich darüber, dass meine Stimme belegt klang.
»Freilich ist es ein Jammer, ein großer Jammer, dass Tirza allein auch noch alle Schönheit abbekommen hat. Was für eine Verschwendung, wo sie doch klug genug ist, um Karriere zu machen.« Meine Mutter beugte sich zu mir, ihr Ton wurde vertraulich, ich hasste das. »Die Männer steigen gerne zu deiner Schwester ins Bett. Es würde deine Schwester keine Mühe kosten, mir zehn Enkel zu schenken. Von zehn verschiedenen Männern.«
Meine Unterlippe zitterte. »Das weiß ich doch alles, Mama.«
»Wenn du etwas aus dir machen würdest, viel aus dir machen würdest, dann könnte es durchaus sein, dass auch du einen – Herrgott, wir brauchen doch nur einen einzigen – Mann abbekommst.« Bedauernd fügte sie hinzu: »Auch wenn Tirza mir natürlich die schöneren Enkel schenken würde. Und die klügeren.«
In dem Moment fing der Fiat an zu stottern. Ich trat auf das Gaspedal, was das Zeug hielt. Dennoch wurde das Auto immer langsamer.
»Thaddäääaaa«, kam es drohend von rechts.
»Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist«, jammerte ich und trat weiter. Kurz bevor wir stehen blieben, fing sich der Fiat und nahm wieder Fahrt auf. Vor Erleichterung standen Tränen in meinen Augen. Meine Mutter schnauzte los: »Du warst also nicht in der Werkstatt mit ihm, so wie ich es dir gesagt habe!«
»Doch, doch, Mama, natürlich, die haben am Motor herumgeschraubt und haben gesagt, dass alles wieder gut ist. Wirklich, Mama –« Jetzt heulte ich.
»Nicht weinen, mein Mädchen. Mama ist ja da«, wisperte sie und strich mir über den Arm. Ich schluchzte auf. Am liebsten hätte ich mich wie ein kleines Kätzchen auf dem Schoß meiner Mutter zusammengerollt. Einfach nur getröstet werden. Doch ich musste ja fahren, durfte nie wieder stehen bleiben, denn es war äußerst fraglich, ob der Fiat sich jemals wieder dazu überreden ließ, aus dem Stand loszufahren. Aber wenigstens wirkte Mama besänftigt, ja richtig liebevoll. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu.
»Männer mögen keine verheulten Frauen, Thaddäa.«
»Ich weiß.«
»Schon als Kind hast du ständig einen Grund gefunden, Rotz und Wasser zu heulen. Tissi hat dich natürlich deswegen gehänselt. Und was hast du getan? Wieder geheult.«
Meine Nase begann zu kitzeln, ich musste niesen.
»Mal wieder mit dem Charme eines Trompetenkäfers«, ätzte Mama, während ich verzweifelt bemüht war, die Spur zu halten.