Die Treppe im See(7)
Darauf tranken wir.
Kapitel 3
Gegen halb elf ging ich mit Jodie den schneebedeckten Weg entlang, der uns zu unserem neuen Heim führte. Die Luft roch nach Winter und Schrot von den Getreidemühlen am Rande der Stadt. Die dunklen B?ume beugten sich zu uns, als h?tten sie Hunger und wollten uns von der Erde pflücken. Unser Atem vermengte sich zu Wolken.
Ich drückte Jodie einmal. ?Bist du glücklich??
?Natürlich.? Nach dem Dessert war sie mir zu ruhig und in sich gekehrt vorgekommen.
?Was hast du??, fragte ich weiter.
?Ich wünschte, du würdest bei manchen Themen offener sein.?
Sie bezog sich auf Adams Kommentar bei Tisch – schwanger werden und Babys kriegen.
?Wir sind gerade erst eingezogen. K?nnen wir nicht eins nach dem anderen tun??
?Wir sind erwachsene Menschen. Wir sind f?hig uns mehreren Dingen auf einmal zu widmen. Und f?hig erwachsene Entscheidungen zu treffen.? Vor der Terrasse blieben wir stehen. Das Haus, dunkel und grübelnd, blickte auf uns hinab. ?Willst du überhaupt Kinder??
?Irgendwann.?
?Tja?, erwiderte sie, ?mein Irgendwann l?uft irgendwann ab.?
?Müssen wir ausgerechnet jetzt darüber diskutieren? Lass uns einfach unsere erste Nacht hier genie?en.? Ich griff nach ihren H?nden, doch sie steckte sie in die Jackentasche.
?Es ist kalt hier drau?en?, sprach sie. ?Ich gehe rein.?
Jodie ging sofort nach oben. Eine Minute sp?ter h?rte ich die Wasserleitungen scheppern und rauschen und den Klang von Wasser, das eine Wanne füllte.
Im Dunkel unseres neuen Wohnzimmers standen verschiedene Pappkartons um mich herum, wie Touristen, die einen Stra?enkünstler anglotzten. Ich atmete lange aus, den aufgestauten Atem. Wie aus dem Nichts lastete ein schweres Gewicht auf meinen Schultern und drückte mich nieder, nieder, nieder. Ich malte mir Jodie aus, so wie vorhin, wie einen Geist drau?en im Schnee, ihr Gesicht leer vor vergeblicher Mühe.
Schei? drauf, dachte ich und ging mit einer Zigarette zwischen den Z?hnen hinaus.
Die Terrasse knarzte einmal mehr unter meinem Gewicht, als ich auf ihr stand. Ich nahm einen kr?ftigen Zug und fühlte in der Eisesk?lte meine Augen feucht werden. Beim Blick über den Hof kam es mir vor, als wogen die B?ume unterschwellig, wie beseelte Lebewesen hin und her. über ihnen glomm der Mond, wie ein fluoreszierender Sch?del hinter schwarzen Wolkenschleiern.
Zweige brachen, Schnee knirschte und totes Laub raschelte, bevor mehrere Meter entfernt eine Gestalt auf dem gewundenen Schotterweg im Wald erschien, der zurück in die Waterview Court führte. Die Gestalt trug etwas, w?hrend er – sie schien unverwechselbar m?nnlich zu sein – auf mich zukam.
Es war Adam.
?Halt?, rief ich.
Er blieb stehen und sp?hte in die Finsternis, bis er mich im n?chtlichen Schatten auf der Terrasse entdeckte. Seine Umrisse sonderten Dampfschwaden ab. ?Jesus, was zur H?lle treibst du hier drau?en??
?Ich verstecke mich.?
?Interessiert an Gesellschaft?? Er hielt mir sein Mitbringsel vor; anscheinend war ihm der Port in die H?nde gefallen, den er zuvor gesucht hatte.
?Kommt drauf an. An wen hast du gedacht??
Adam nahm einen Schluck aus der Flasche und schob die freie Hand in die Ges??tasche seiner Baumwollhose. Er lehnte sich gegen das Terrassengel?nder. Es knirschte, gab aber nicht nach. ?Hoffentlich gef?llt es euch hier.?
?Was k?nnte uns daran hindern??
?Ich hoffe, ich habe mit meinem Gespr?ch über Familiengründung keine Lawine ins Rollen gebracht.?
?Schon okay.?
?Ein heikles Thema bei euch??
?K?nnte man sagen.?
Adam nippte ein weiteres Mal. Er schien sich weder neben mich stellen zu wollen, noch konnte er mich anschauen, als er sich mit dem Handrücken den Mund abwischte.
?Was hast du auf dem Herzen? Du bist bestimmt nicht hergekommen, um dich zu vergewissern, dass wir sicher zurückgefunden haben.?
Er schaute auf den Boden und schüttelte den Kopf. Zwar l?chelte er, doch Heiterkeit sah definitiv anders aus.
Erneut stie? mich Adams ?hnlichkeit mit unserem Vater vor den Kopf. Erinnerungen an den alten Herrn stiegen auf. Einmal kam er mit einem Weihnachtsbaum auf dem Dach unseres Chryslers die Einfahrt herauf, als wir noch in der viel zu kleinen Doppelhaush?lfte in Eastport wohnten. Kyle war nach wie vor am Leben, und wir schmückten noch einen echten Baum. Die Eindrücke kehrten so unverhofft und vehement wieder, dass ich beinahe weinen musste.
?Ich sch?tze, ich hielt es einfach nur für eine gute Idee?, behauptete Adam und riss mich damit aus meinem Wachtraum. ?Ihr seid gerade erst eingetroffen und so. Immerhin wohnen wir quasi gegenüber, und da dachte ich …? Sein Ehering klackte an die Weinflasche. ?Müssen wir uns aussprechen, du und ich??
?Ich glaube nicht.?
?Als wir das letzte Mal auseinandergingen, taten wir es ja nicht im Guten.?
Ich schaute in die Ferne. Der Schnee schimmerte im Mondlicht, als sei er nicht von dieser Welt. ?Vergiss es einfach. Wir waren beide betrunken.?
?Es hat mich lange Zeit belastet.?
?Es liegt in der Vergangenheit.?
?Empfindest du wirklich so, was das angeht? Nimm‘s mir nicht übel, falls doch nicht.?
Einen Augenblick lang ging ich tief in mich. Ich musste schlie?lich einsehen, dass ich nicht wusste, was ich empfand. Da ich befürchtete, mein Schweigen k?nne mich entlarven, beteuerte ich: ?Sicher.?
?Wir haben bereits zu viel Zeit vergeudet, und zwar für nichts und wieder nichts.?