Die Treppe im See(5)



Jacob und Madison kicherten.

?Und du auch, Baby?, hauchte sie mir ins Ohr, woraufhin ich sie fester drückte.

Das Grundstück umfasste drei Hektar und reichte von der Rückseite des Hauses bis zu einem Kiefernwald. Er war immens, die Art eines Waldes, in dem sich unvorsichtige Wanderer stets verirrten, und erstreckte sich über weitere hundert Hektar.

Bei n?herer Betrachtung wirkte das Haus fast menschlich und melancholisch, gerade weil es in einem dürftigen Zustand war. Die L?den hingen schief an den Angeln, und die Scheiben starrten vor Schmutz. Vom Vordach hingen erfrorene Pflanzen in Weidenk?rben, die allesamt derart ausgewachsen waren, dass die Wurzeln den Boden der K?rbe durchsto?en hatten und wie Tentakel in der Luft baumelten wie irgendein pr?historisches Meerestier. Blattlose Ranken klebten steif vor K?lte wie Kabel an der Holzverkleidung. Die Farbe bl?tterte von dem Holz ab, das an einigen Stellen verblasst oder fleckig war. Es verrottete zwar, zeigte jedoch nach wie vor alle m?glichen Wirbel und Muster in der Maserung.

Adam warf mir die Schlüssel zu. ?Wollen wir stehen bleiben und uns die ?rsche abfrieren, oder schauen wir uns eure neue Bleibe genauer an??

Ich reichte die Schlüssel an Jodie weiter. ?Nur zu. Die Ehre gebührt dir.?

Sie stieg die beiden Stufen auf die Terrasse, wobei sie kurz innehielt, als das Holz unter ihren Fü?en knarrte. An der Unterseite des Vordachs hing eine Schaukel an rostigen Ketten; die linke war ein paar Zoll l?nger als die rechte. Der Sitz – ebenfalls aus Weiden – war derart marode, dass ein Loch mit zerfleddertem Rand darin klaffte. Die elektrischen Lampen zu beiden Seiten der Haustür waren von V?geln mit Nestern bedacht worden, und ihr Kot besprenkelte die Bretter am Boden, der einen an eine Sternenkarte erinnerte. Falls Jodie das alles genauso kritisch wahrnahm, lie? sie es sich nicht anmerken.

Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, w?hrend wir anderen uns hinter ihr aufbauten. Wir warteten geduldig darauf, dass sie die Tür endlich aufmachte. Stattdessen lachte sie los.

?Was??, fragte ich. ?Stimmt etwas nicht??

?Der Wahnsinn?, sagte sie. ?Unser erstes richtiges Heim.?

Das Haus versprühte geh?riges Siebzigerjahre-Flair, vor allem wegen des haarstr?ubenden Zottelteppichs und der Vert?felung im Obergeschoss. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass eine Discokugel an der Decke baumelte. In der Küche fehlten einige Bodenfliesen, und die W?nde schienen sich der Elektrik entledigen zu wollen, denn viele Steckdosen hingen an ihren Eingeweiden aus den Gipsplatten.

Die Umzugsfirma hatte unsere Habe mehr oder weniger dort abgestellt, wo Platz war, weshalb wir uns den Weg durch mehrere R?ume wie M?use durch ein Labyrinth bahnten.

Jodie nahm meine Hand und drückte sie. ?Einfach gro?artig.?

?Es braucht noch eine Menge Arbeit.?

Oben gab es zwei Schlafzimmer – ein gro?es und eines für G?ste – sowie einen dritten Raum, den ich perfekt als Arbeitsraum zum Schreiben und Jodie für ihre Doktorarbeit nutzen konnte. Auch ein zweites Badezimmer war komplett eingerichtet. Ein wenig verdrossen wurde ich der zersprungenen Fliesen in der Dusche gewahr und malte mir aus, dass der Wasserhahn am Waschbecken m?glicherweise schon seit Eisenhowers Amtszeit leckte.

?Travis?, rief Jodie vom Flur her. ?Komm, schau mal. Das wirst du nicht glauben.?

Sie war in dem gro?en Schlafzimmer am Ende des Gangs. Die M?belpacker hatten die Matratzen an eine Mauer gelehnt und unsere Kommode mitten im Raum stehen gelassen. An einer anderen Wand stapelten sich die Kleiderkisten.

?Sieh dir das an?, rief Jodie. Sie schaute aus der breiten Fensterfront, die rückw?rtig hinausging.

Ich stellte mich hinter sie und blickte über ihre Schulter. über dem makellos wei? verschneiten Rasen erkannte man durch die verschlungenen ?ste kahler B?ume einen zugefrorenen See, der in der Mittagssonne glitzerte. Am Gegenufer pr?gten gewaltige Drehkiefern das Landschaftsbild; ihre Nadeln mit Schnee überzuckert. Der Anblick war atemberaubend malerisch und wurde einzig von einem seltsamen Etwas getrübt, das fast genau in der Mitte des Gew?ssers senkrecht aus dem Eis ragte – eine lange, schwer zu beschreibende Holzkonstruktion.

?Wusstest du von dem See hinterm Haus??

?Nein?, antwortete ich. ?Adam hat nie etwas davon erw?hnt.?

?Jesus, das ist wundersch?n. Kaum zu glauben, dass es uns geh?rt.?

?Tut es aber.? Ich küsste ihren Hals und schlang die Arme um sie. ?Hast du eine Idee, was das dort auf dem Eis sein k?nnte??

?Keine Ahnung?, sagte sie, ?aber ich denke nicht, dass es auf dem Eis steht.?

?Nicht??

?Sieh auf den Grund. Das Eis rundherum ist aufgebrochen, und man sieht das Wasser.?

?Eigenartig.?

Pl?tzlich schreckten wir beide von einem schrillen Schrei auf, gefolgt von schnellem Geplapper und kleinen Schritten auf dem harten Holzboden. Der Schrei passte nicht ins Schema eines aufgeregten Kleinkindes; Angst schwang mit, wom?glich sogar Schmerz.

Ich eilte aus dem Zimmer zum Treppenabsatz und schaute hinunter in die Diele, wo Madison gerade in die Arme ihrer Mutter flog. Beth packte das M?dchen und drückte es fest an sich.

?Was ist passiert??, fragte ich auf halbem Weg die Stufen hinab.

Beth schüttelte den Kopf: Sie wusste es nicht. W?hrend sich Madison wie ein Klammeraffe an ihr festkrallte, strich sie das Haar der Kleinen glatt.

Adam erschien neben ihr und fragte seine Tochter ebenfalls, was geschehen sei, doch sie antwortete nicht. Ihr Schluchzen verklang jedoch schnell, und danach schien sie nichts weiter mehr zu wollen, als das Gesicht an der Schulter ihrer Mutter zu verbergen.

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