Die Treppe im See(60)
?Drücke ich mich verdammt noch mal klar aus??
Mich fr?stelte. ?Ja?, kr?chzte ich.
?Okay.? Jodie nahm die Treppe und war schon halb oben, als sie innehielt. ?Ich liebe dich, aber wenn ich vort?uschen würde, es sei alles in Ordnung, t?te ich dir keinen Gefallen.?
Ich horchte, wie sie die restlichen Stufen in ihren schweren Schuhen nahm, und im Erdgeschoss auf die Bohlen trat. Es raschelte, und kurz darauf knallte die Haustür. Falls sie eine Tasche gepackt hatte, war diese wahrscheinlich bereits drüben bei Adam.
Einen ganzen verfluchten Tag? Ich habe hier übernachtet? Ich lachte allein schon deshalb, weil es mir so abstrus vorkam, doch genauso erschreckte es mich, und zwar nicht wenig. Die K?lte drang bis zu den Wurzeln meiner Seele.
Etwas bewegte sich hinter mir in Elijahs Zimmer, und als ich mich umdrehte, sah ich zun?chst nichts Au?ergew?hnliches. Bei n?herer Betrachtung aber stellte ich fest, dass zwei der farbigen Holzkl?tze – ein gelber und ein grüner – auf dem Schreibtisch lagen. Einer stand hochkant, der andere balancierte horizontal obendrauf, sodass sie gemeinsam ein gro?es T ergaben.
Ich brüllte richtiggehend auf, als oben das Telefon klingelte, raste die Treppe hinauf und riss den H?rer von der Küchenwand. In Erwartung von Adams strenger, ma?regelnder Stimme, die mich anschrie. Ich meldete mich mit stahlharter Entschlossenheit in der Stimme.
?Travis? Earl Parsons hier.?
Ich r?usperte mich und entschuldigte mich für meine anf?ngliche Schroffheit. ?Ich hielt Sie für jemand anderen. Ist alles klar bei Ihnen??
?Klar wie Regen.? Dem Ger?usch nach zu schlie?en, a? er gerade. ?Ich habe Althea Coulter aufgespürt.?
Ein gewisses Siegesgefühl konnte ich nicht verhehlen. ?Fantastisch. Sagen Sie mir bitte, dass sie noch lebt.?
?Sch?tze, das ist Ansichtssache. Sie wird station?r im Frostburger Krankenhaus behandelt: Strahlentherapie. Ich habe just mit ihrem Sohn gesprochen, nachdem ich mich als alter Freund der Frau ausgab, und er meinte, sie liege in den letzten Zügen.?
?Krebs?, subsumierte ich kurz und bündig. ?Jesus.? Augenblicklich wurde ich klar im Kopf. ?Ich kann niemandem auf dem Sterbebett im Krankenhaus mit Fragen drangsalieren.?
?Dann lassen Sie es bleiben.? Earl hob zu einem einigerma?en vertr?glichen Vorschlag an: ?Besuchen Sie sie, nehmen Sie einen Blumenstrau? mit und sorgen Sie dafür, dass sie sich gut fühlt. Ihr Sohn sagt, sie sei recht einsam, obwohl er versuche, sie so oft wie m?glich zu sehen. Vermutlich k?men Sie ihr sogar entgegen.?
Ich atmete tief ein und sah erneut, wie Jodie in der Waschküche verharrte. ?Ich verhalte mich ziemlich egoistisch, nicht wahr??
?Kommt darauf an?, wog Earl ab. ?Tun Sie das alles denn für sich oder Elijah Dentman??
Ich dachte lange nach. ?Sowohl als auch.?
Nachdem ich mir die Nummer von Altheas Krankenzimmer in der Handfl?che notiert hatte, dankte ich Earl für seine Mühen. Er bat mich, ihn über alle weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten, und ich versprach, ihn sofort in Kenntnis zu setzen, sobald sich etwas herauskristallisierte.
?Sie glauben wirklich, dass wir einer hei?en Spur folgen, oder?? Obwohl er die Stimme am Ende des Satzes zur Frage hob, wusste ich genau, dass er das Gleiche wie ich empfand.
Als ich auflegte, bemerkte ich etwas auf dem Küchentisch und trat n?her. Es waren zwei herausgerissene Zeitungsartikel. Ich musste nicht genauer hinsehen, um mich zu vergewissern, dass es die Berichte zu Elijahs angeblichem Unfalltod waren, die ich aus der Stadtbücherei gestohlen hatte; sie waren an den Falzen erkennbar, wo ich sie gefaltet hatte, um sie einzustecken. Hinterher waren sie wohl in meiner Hose geblieben, und Jodie hatte sie beim Umstülpen der Taschen für die W?sche entdeckt.
Ausgebreitet wie Beweismittel in einem Mordfall vor Gericht verursachten diese gedruckten Nachrichtenfragmente ein schweres, unbeschreibliches Beben tief in meinem Inneren.
Kapitel 23
Ich hatte mich mit einem dicken, pelzverbr?mten Parka und einem Paar Wollhandschuhen gegen die Witterung gewappnet und fuhr auf den Besucherparkplatz vor dem Frostburg Medical Center, einem breiten Backsteingeb?ude. Neben mir auf dem Beifahrersitz vibrierte eine niedrige Grünpflanze im Takt des Automotors.
Von au?en sah das Krankenhaus wie eine altertümliche Kathedrale aus, spitze Giebel im gotischen Stil, und die Flügel ums?umt von einem schwarzen Gitterzaun mit Speerspitzen. Ein langer Schotterweg erstreckte sich wie ein Flussarm hinauf zur automatischen Tür, die sich unter einem mit robusten Stützpfeilern ausgestatteten Vordach befand. Die Fenster waren schmal und mit Maschendraht abgesichert, w?hrend der steril wei?e Anstrich der Ziegelfassade einen Eindruck von Knochen vermittelte, auf die der Verbrennungsofen wartete. Hinter dem Gem?uer ragte eine Reihe erhabener Kiefern auf, riesengro? und schneebedeckt. Von dort aus, wo ich den Wagen abgestellt hatte, sah ich über dem Gesims knapp unter dem Dach ein schweres Vogelnest aus St?ckchen und dünnen Zweigen herabh?ngen. Passend dazu wachten zwei gewaltige Falken an beiden Seiten der Wand.
Ich stieg aus dem Auto. Die K?lte war scharf und es roch intensiv nach Winter. Ich zog meine Marlboros heraus und steckte mir eine in den Mund, dann entflammte ich sie mit dem Feuerzeug im Schutz meiner hohlen Hand gegen den Wind.
Das Foyer der Klinik kam mir vor wie ein Uterus. Den Boden hatte man mit zweckdienlich braunem bis orangefarbenem Teppich ausgelegt (dem speziellen Braun, das man nur in Krankenh?usern zu sehen bekommt), und über meinem Kopf brummten gro?e Gasentladungslampen.