Die Treppe im See(58)
W?hrend ich ihn anstarrte, z?hlte ich meine Herzschl?ge. Als ich endlich antwortete, erstaunte mich, in welch gelassenem Tonfall ich es tat. ?Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen. Wir sind hier nicht in einem deiner verdammten Verh?rzimmer.?
?Fein. Du musst mir keinen Schei?dreck beantworten. Aber lass dir von mir einen kleinen brüderlichen Rat geben: Dies hier ist eine Kleinstadt, wo sich Gerüchte wie Lauffeuer verbreiten. Wenn du dir ?rger ersparen willst, h?rst du besser auf, deine Nase überall hineinzustecken.?
?Einfach unglaublich?, grollte ich. ?Jetzt drohst du mir –?
?Ich drohe dir nicht, Arschloch. Ich warne dich. Du hast hier drau?en ein lauschiges Pl?tzchen gefunden, und deine Frau verdient es. Also vermassel es nicht, indem du ihr mit deinem n?rrischen Verhalten Schande machst.?
Ich platzte heraus: ?Ich glaube, David Dentman hat seinen Neffen umgebracht.?
?Ist das so??
?Die Indizien passen nicht so recht zueinander. Die Dinge ergeben keinen Sinn.?
?Ach wirklich? Wie sehen deine Indizien denn aus? Kannst du mit mehr aufwarten als ein paar Anzeigen wegen K?rperverletzung, derer er nicht einmal für schuldig befunden wurde??
Ja, welche Indizien hatte ich eigentlich? Die alles umfassende Merkwürdigkeit dieses Falles? Die Tatsache, dass David mir beinahe den Hals umgedreht h?tte, als wir uns bei seiner geisteskranken Schwester in ihrer gemeinsamen Absteige begegnet waren? Ich h?rte bereitwillig auf mein Bauchgefühl, das sich jedoch nicht allzu gut in handfeste Fakten ummünzen lie?.
Dass ich an diesem Punkt schwieg, war bezeichnend.
?Wir arbeiten mit Tatsachen?, betonte mein Bruder. ?M?rder handeln nach Motiv, Unschuldige bringen Alibis hervor, und man kann niemanden nur aufgrund bestimmter Ungereimtheiten hinter Gitter stecken. Im wirklichen Leben ist es eben so, dass nicht alles einen Sinn ergibt, und das hier ist das wirkliche Leben, nicht eines deiner Bücher.?
Und wenn doch?, dachte ich.
?Die Leiche wurde nie gefunden?, erinnerte Adam. ?Diese Menschen erhielten niemals Gewissheit. Lass sie in Frieden.?
Als ich meine Schuhe auf der Terrasse abklopfte, kochte ich innerlich immer noch vor Wut. Drinnen warf ich die Jacke übers Sofa; auf dem Wohnzimmertisch davor waren Elijahs bunte Baukl?tze zu einer Pyramide aufgetürmt.
Nachdem ich hinaufgegangen war, stellte ich mich in den Türrahmen unseres Büros, wo Jodie über einer Reihe von Lehrbüchern zur Psychologie sowie Ordnern fotokopierter Zeitschriftenartikel brütete. Einen Zeigefinger hatte sie in den Henkel einer dampfenden Tasse gehakt, die nach Kamillentee duftete.
?Arbeitest du flei?ig??, fragte ich.
?Von nichts kommt nichts.?
?Hast du das Holzding unten auf dem Tisch gebaut??
?Welches Holzding?? Sie behielt die Nase über den Seiten, drehte den Kopf nicht, um mich anzusehen.
Ich gluckste. ?Komm schon, die Kl?tze auf dem Wohnzimmertisch.?
Jetzt erst wandte sie sich mir zu. Ohne Schminke wirkte sie natürlich, aber auch irgendwie streng. ?Ich versuche, hier weiterzukommen. Was willst du mir sagen??
?Jemand hat unten auf dem Tisch Spielkl?tze gestapelt.?
?Du siehst irgendwie ver?ndert aus?, stellte Jodie fest, als sie mich einen Tick zu lange musterte, mir entging nicht, dass sie meine Gedanken lesen wollte. Ich glaubte, ich stünde nackt in der Tür. ?Alles in Ordnung??
?Was meinst du??
?Wei? nicht. Du bist schon seit Tagen nicht mehr du selbst.?
?Wer bin ich sonst??, fragte ich und kam nicht umhin, an jene Nacht zu denken, als Jodie behauptet hatte, sie sei, als sie vom Bett ins Bad gegangen war, im Spiegel auf mein Gesicht gesto?en.
Ich war du.
?Du wei?t, was ich meine?, sagte sie.
?Nein, tue ich nicht. Erkl?r es mir.?
Jodie seufzte. ?Weshalb gehst du nicht duschen und rasierst dich? Ein bisschen Wasser kann nicht schaden; du wirst dich danach besser fühlen.?
?Mir geht es gut.?
?Du kommst mir vor, als h?ttest du einen Geist gesehen.?
Mir graute vor diesem Wort.
?Vielleicht arbeitest du zu verbissen an diesem neuen Projekt. G?nn dir ein paar Tage Pause.?
?Gut.? Ich wollte nicht l?nger diskutieren.
?Du bist gestresst. Deswegen hast du auch st?ndig Albtr?ume.?
?Was für Albtr?ume??
?Keine Ahnung.? Sie zog die Augenbrauen zusammen. ?Du winselst wie ein Welpe im Schlaf.?
?Tu ich das??
?Es ist Stress.? Damit widmete sie sich wieder ihrer Arbeit.
?Was ist nun mit diesen Kl?tzen??, fragte ich ihren Rücken.
?Ich wei? wirklich nicht, wovon du verdammt noch mal sprichst. Ich spiele nicht mit Baukl?tzen.?
Ich kehrte nach unten zurück, r?umte den Tisch ab und trug alles in den Keller, wo ich es zurück in den blauen Plastikeimer warf. Dann setzte ich mich schnaubend an Elijahs niedrigen Schreibtisch, wobei ich die Beine verdrehen musste und dennoch mit den Knien anstie?. Schlie?lich schlug ich einen meiner Bl?cke auf.
Earls Kleinformate fielen mir entgegen, zuoberst Veronica undeutlich hinter Wacholdern. Einmal mehr beschlich mich das penetrante Gefühl, etwas versuche, mich aus diesen Fotos anzuspringen oder winke mit den Armen wie ein Ertrinkender, um sich bemerkbar zu machen. Allerdings wusste ich nach wie vor nicht, was es war.
Die L?sung tritt beim Schreiben zutage, sagte ich mir, griff zu einem Stift und legte die Bilder neben den aufgeschlagenen Block.
Mein Tutor für kreatives Schreiben am College meinte einmal: ?Fiktion ist sehr h?ufig die bessere Wirklichkeit; Gr?uel sind leichter verdaulich, wenn man sie herausputzt und tanzen l?sst wie Zirkusclowns.?