Die Treppe im See(53)
Das traf mich unvorbereitet.
?Passen Sie auf sich auf, Travis.?
Ich schaute ihm hinterher und blickte nicht auf den Zettel, den er mir untergeschoben hatte. Erst als sein Pick-up die Einfahrt verlie?, faltete ich ihn auf. Es war seine Adresse, geschrieben in krakeligen Hieroglyphen, wie sie nur von einem alten Mann stammen konnten.
Kapitel 21
Earls Junggesellenwohnung erwies sich als Wohnwagen und sah verd?chtig nach ausrangiertem Güterwaggon aus, auf dessen Dach mehrere Fernsehantennen emporragten, und obwohl es schon Mitte Januar war, hingen Weihnachtslichter herab. Ein paar alte verstreute Blechkisten rosteten auf der Wiese vor sich hin. Der Wagen stand auf einem bewaldeten Hügel am Ende der Old County Road, die streng genommen nicht mehr zu Westlake geh?rte, auch wenn man die Laternen der Hauptstra?e von seiner Tür aus noch sehr gut sah. Der Nachmittag war weit fortgeschritten, und das Interview bei mir zu Hause zwei Tage her. Die Temperatur sank, und am Horizont zeichnete sich ein gleichm??iges Dunkelrot ab.
Als ich neben dem Wohnmobil vorfuhr, bellte auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ein schwarzer Hund wild. Er war an der Sto?stange eines altmodischen Chevrolets festgebunden, die jedoch nicht vertrauenerweckend aussah, um das Tier davon abzuhalten, sich loszurei?en und mir an die Kehle zu springen. Oben in den Bergen heulte der Wind.
Earl kam vor die Tür, als ich aus dem Wagen stieg. Er trug ausgebleichte Jeans und ein aufgekn?pftes Flanellhemd sowie braune Waldarbeiterstiefel, alles sah zwei Nummern zu gro? für ihn aus. Er hob eine Hand zur Begrü?ung, dann rief er etwas in die andere Richtung, das den Hund sofort zum Schweigen brachte, als h?tte er ihn mit einer Birkenrute gepeitscht.
Ich schlug die Autotür zu, schulterte meinen Rucksack und watete durch den Schnee. Unter meinem Arm klemmten zwei Notizbücher; das dritte sah so aus, als h?tte es sich in Luft aufgel?st.
W?hrend der vergangenen zwei Tage hatte ich das ganze Haus auf den Kopf gestellt und fand es dennoch nicht. Ich beschuldigte Jodie, sie h?tte das Buch vielleicht verlegt, doch sie schwor, es nicht gesehen zu haben. Ich kramte in allen Kartons in Elijahs Zimmer, wohin ich mich zwischenzeitlich zum Schreiben zurückzog. Deshalb mutma?te ich, die Aufzeichnungen versehentlich zu den Sachen des Jungen gepackt zu haben. Als ich mich über eine der Kisten beugte, war mir, als h?re ich Schritte. Dann hauchte mir jemand in den Nacken, und ich drehte mich in der Erwartung um, auf Elijah zu sto?en, der mit blau aufgeschwemmter Haut eine Arml?nge vor mir im Halbdunkel stand, w?hrend sich auf dem Beton zu seinen Fü?en schwarzes Wasser sammelte. Aber es stand niemand hinter mir; ich war allein.
Beim N?herkommen nickte mir Earl zu. ?Der Schnee ist etwas geschmolzen. Wie war die Fahrt??
?Die Innenstadt haben sie ger?umt, aber hier in den Bergen ist es immer noch recht tückisch.?
Wir gaben uns die Hand. Gegenüber fing der gro?e Hund erneut zu bellen an.
?Kommen Sie rein?, bat Earl, indem er mir die Tür aufhielt. ?K?lter als die eisigen Titten einer Hexe hier drau?en.?
Drinnen wurde ich mit get?felten W?nden und neonfarbigem Teppich konfrontiert. Das Sofa sah aus wie ein Requisit aus Sanford and Son, geschmacklose Kunstdrucke zeigten Jagdhunde, Katzenschwanz und glupsch?ugige Barsche im Sprung aus Flüssen. Kleider h?uften sich am Boden zu Gebirgen und schienen sich zu bewegen, wenn man nicht direkt hinsah, leere Bierflaschen und Pizzakartons lagen in nahezu strategischer Anordnung auf engstem Raum übereinander. Inmitten des Sammelsuriums empfing Earls vorsintflutlicher Minifernseher sein Programm über eine Zweipolantenne, um die er Aluminiumfolie gewickelt hatte. Diese H?hle zeugte von einem Berufsjunggesellen, jenem abgefeimten und schwer festzunagelnden Gesch?pf, das niemand unter die Haube brachte, weil es seine Schmutzsocken herumliegen lie? und nichts vom Hemdenbügeln oder Abwaschen hielt.
?Ich habe Sie vor dem Chaos gewarnt.?
Ich folgte ihm auf eine erh?hte Fl?che, wo schn?der Linolboden den groben Teppich ersetzte. Earl r?umte halb verzehrtes Essen in Styroporboxen vom Chinesen und Zeitungsstapel von den M?beln, bei dem ein Küchentisch zum Vorschein kam. Bescheiden nahm ich aufgetürmte Taschenbuchausgaben meiner Romane auf einer der Ablagefl?chen wahr, von denen eines aufgeklappt mit dem Einband nach oben lag, um sp?ter weitergelesen zu werden.
Earl nickte mit den Armen voller Abfall in Richtung zweier Campingstühle, die zusammengeklappt an einer Wand standen. Ich legte meine Bl?cke auf den runden Tisch und stellte die beiden Plastikm?bel auf. Eine Papierlaterne, die an einem Kabel über dem Tisch hing, war die einzige Lichtquelle. Ich nahm Platz, als Earl mit einer Faltmappe und zwei ge?ffneten Flaschen Bier zurückkehrte,
?Cheers? sagte und klingend mit dem Hals seiner Flasche gegen meine stie?. Nachdem er sich schwer in den Sessel fallen lie?, stellte er den Ordner mitten auf den Tisch. ?Bevor wir anfangen, m?chte ich, dass Sie mir Ihr Wort geben. Das meiste dessen, was ich Ihnen heute Abend zeige, muss unter uns bleiben.?
?Ich wei? zwar nicht, worum es geht, aber okay. Ich gebe Ihnen mein Wort.?
Earl deutete auf meine Notizbücher. ?Was ist das??
?Ideen zu einem neuen Buch.? Nach einer Pause fügte ich hinzu: ?Aber ich denke, sie sind mehr als das.?
Er sagte nichts, sondern nahm ein paar kr?ftige Schlucke aus der Flasche, ohne den Blick von mir abzuwenden.
?Es klingt bl?d, aber ich arbeite eine Story aus, basierend auf dem, was ich über die Dentmans wei?.? Ich hatte das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. ?Ich litt unter dieser lausigen Schreibblockade, und als ich erfuhr, dass Elijah ertrunken ist, fühlte ich meine kreative Ader zurückkehren. In den vergangenen Wochen habe ich wie ein Irrer geschrieben.? Fast entschuldigend fügte ich an: ?Es gibt noch einen dritten Block, aber den muss ich verlegt haben.?