Die Treppe im See(51)
Kein Platschen. Keine Antwort. Nur dieser abscheuliche Bums, der das Blut in seinen Adern gefrieren, seinen K?rper zur Salzs?ule erstarren l?sst …
?Alles wird gut, Junge?, beschwichtigte Detective Wren, indem er eine fleischige Hand auf meine schmale, schlotternde Schulter legte.
Tr?nen trübten meine Sicht, und meine Brust bebte mit jedem Atemzug.
?Ist schon in Ordnung. Beruhige dich erst einmal. Sobald du gefasst bist, machen wir weiter.?
Ein kleines Schwimmdock – nicht gr??er als eine Doppelmatratze und mit vier Finger dicker Schieferplatte belegt – hatte sich früher am Abend von den Leinen gel?st, war mehrere Stunden lang haltlos und unbemerkt herumgetrieben, schlussendlich den Fluss hinauf Richtung Bucht. Als Kyle vom Dach des Stegs sprang, schwamm die Vorrichtung genau unter ihm, verborgen in der Dunkelheit.
Der dumpfe Laut, bei dem sich mir der Magen umdrehte, verursachte Kyles Sch?del, der auf dem Schiefer brach. Dann rollte mein Bruder bewusstlos in den Fluss, versank wie ein Stein und ertrank.
Kapitel 20
Mit siebenundsiebzig hatte Earl Parsons ein Gesicht wie ein alter Bluthund, der zu h?ufig getreten worden war, weil er im Müll st?berte. Sein K?rper war von der lang gezogenen Sorte und er w?re auch als Orang-Utan oder Riesenfaultier durchgegangen, bekleidet mit hellblauer Polyesterhose und kariertem Flanellhemd. Seine Tr?ger waren wie die US-Flagge gemustert, und die unf?rmige Nylon-Skijacke darüber besa? einen Kunstpelzkragen, wie ihn vielleicht ein Sheriff in den Bergen von Colorado tragen würde. Sein schlecht gescheiteltes, grafitgrau meliertes Haar haftete dank vermutlich mehrerer Handvoll nach Kampfer riechender Pomade an der Kopfhaut. Meiner Einsch?tzung nach k?mmte er es nicht sonderlich oft. Aber da er unverhohlen herzlich auf mich zukam und sich durch seine l?ndliche Freundlichkeit durchwegs gesellig zeigte, kam ich nicht umhin, ihn sofort sympathisch zu finden.
?Das ist gro?artig?, sagte er. ?Ich meine, ich wei? es wirklich zu sch?tzen, dass Sie sich Zeit für mich nehmen, Mr. Glasgow. Wenn ich noch einen Artikel über Mora Chaunceys Cockerspaniel schreiben muss, bin ich mir sicher, platzt mein Kopf.?
Wir sa?en im Wohnzimmer, Earl vornübergebeugt in einem gepolsterten Sessel, ich gegenüber auf dem Sofa. Jodie hockte neben mir auf der Lehne und strahlte. Sheila aus der Bibliothek hatte vermutlich erw?hnt, dass ich verheiratet war – ich erinnerte mich daran, es ihr gegenüber erw?hnt zu haben –, so war er nicht nur mit seinem Spiralblock sowie einer Kamera um den Hals aufgekreuzt, sondern brachte obendrein einen Strau? Wildblumen mit, die Jodie gn?dig entgegennahm und in eine Vase steckte.
?Ich fühle mich geschmeichelt, wenn Sie glauben, ich sei einen Bericht wert?, gestand ich ihm.
?Nicht dass ich Ihre schriftstellerischen Qualit?ten herunterspielen m?chte, aber alles lauter als ein Furz ist hier in der Gegend berichtenswert?, sagte er, dann schaute er Jodie an und schien entsetzt. ?Oh Ma‘am, Verzeihung. Ich bin ein taktloser Rüpel, der anscheinend zu viel Zeit alleine verbringt. Entschuldigen Sie bitte.?
Jodie winkte ab. ?Bitte … sehe ich so unschuldig aus, als h?tte ich noch nie einen Furz geh?rt??
Sein Grinsen zeigte schiefe und vom Nikotin gelbe Z?hne. Er lachte kehlig und aus tiefstem Hals. ?Dann sind Sie also eine Frau von Welt, umso besser.?
?Treffende Einsch?tzung?, sagte sie zu mir. ?Ich mag diesen alten Mann. K?nnen wir ihn behalten??
Daraufhin bekam Earl einen Lachkrampf, der mich an über Schotter knirschende Autoreifen denken lie?. Er riss die Augen weit auf und schlug sich mit seinen breiten Pranken so fest auf die Schenkel, dass ich befürchtete, seine Knochen würden brechen. Der Anfall dauerte mehrere Sekunden und steckte richtiggehend an; hinterher fühlten wir uns alle wie alte Freunde.
?Bevor wir anfangen?, begann er, und zog ein Taschenbuch aus seiner Jacke, ?dachte ich, Sie k?nnten mir das hier signieren. Natürlich nur, wenn Sie es nicht für vermessen halten.?
Er reichte mir das Buch. Nachdem er am Telefon behauptet hatte, er lese gerade einen meiner Romane, rechnete ich mit dem Exemplar von Silent River aus der Bücherei, doch dies war Waterview, gekauft und bereits gelesen, wie ich am Rücken sowie einigen Eselsohren erkannte.
?Es war gro?artig?, lobte er und gab mir einen Stift. ?Die letzten drei?ig Seiten habe ich nur so verschlungen. Ich habe schon mit The Ocean Serene begonnen. Sicher, ich lese sie in der falschen Reihenfolge, aber ehrlich gesagt wollte ich mich zuerst nur mit diesem einen befassen. Allerdings schlug es mich derart in seinen Bann, dass ich die anderen auch brauche.?
?Das ist so nett von Ihnen. Sch?n, dass es Ihnen gefallen hat.?
Ich schrieb auf die Titelseite:
Für Earl Parsons, das neue Haustier meiner Frau –
M?gen all Ihre Fürze leise, dafür t?dlich sein.
Travis Glasgow
Ich gab ihm das Buch zurück, in der Annahme er werde die Widmung gleich lesen, tat er aber nicht. Stattdessen steckte er es schnell ein und freute sich wie ein kleines Kind. ?Ich wei? das wirklich zu sch?tzen. Das ist mein erstes Autogramm in einem Buch überhaupt.?
Das Interview dauerte knapp eine halbe Stunde und umfasste Standardfragen, etwa wie ich im literarischen Bereich Fu? fasste, was mich inspirierte und welchen meiner Romane ich am liebsten mochte. Das führte ihn zu unseren Beweggründen, nach Westlake umzusiedeln, sowie meinen bisherigen Eindruck von der Stadt. Ich antwortete entsprechend. Der alte Mann schien zufrieden.
W?hrend einer kurzen Pause überzeugte Jodie ihn davon, zum Mittagessen zu bleiben. Da er uns, wie er meinte, keine Umst?nde bereiten wollte, bekniete sie ihn, bis er nachgab, und verschwand schlie?lich in der Küche, um Sandwiches und Kaffee zu machen.