Die Treppe im See(39)



Was blieb mir übrig, au?er meine Stimme wiederzufinden? ?Ich wei? nicht, was ich damit machen soll. Mit den Kartons meine ich. Es sind so viele, und ich bringe es einfach nicht übers Herz, sie wegzuwerfen. überhaupt dachte ich, Sie … vielleicht … ich fühle wirklich mit Ihnen.?

?David hat sie unten ins Zimmer gestellt, nicht wahr? Das hinter der Mauer.?

?Ja?, antwortete ich. ?Im Keller. Was … was hat es mit dem Raum auf sich??

In der Küche zischelte etwas, woraufhin es nach verbranntem Kaffee zu stinken begann.

Veronica sagte kein Wort. Sie wandte sich nur ab und schwebte wie ein Geist – sie trug keine Schuhe – in die Küche.

Ich hielt den Atem an, da h?rte ich die Kaffeekanne klappern, und nacheinander Schr?nke auf-und zugehen, deren Angeln genauso ger?uschvoll nachgaben wie die der Fliegentür. Solange sie nicht im Raum war, betrachtete ich alles genauer. Es roch und fühlte sich geradezu nach der Bleibe eines Menschen an, der sein Kind verloren hatte, nach Abschottung von der Au?enwelt und Stagnation. Ich musste an ausgelaugte Batterien denken. Allerdings gab es da noch etwas; um darauf zu kommen, brauchte ich l?nger, aber zuletzt d?mmerte es mir: Was vollkommen fehlte, waren pers?nliche Gegenst?nde. Keine Fotos, keine Zeitschriften, keine Bücher, Krimskrams. Einzig der Fernseher geh?rte zu den Dingen, die nicht blo? praktischen Nutzen besa?en; er war auf stumm geschaltet und strahlte gerade QVC aus.

Veronica kehrte mit einer gro?en Tasse dampfendem, schwarzem Kaffee zurück, die sie and?chtig wie eine Nonne beim Austeilen der Kommunion vor sich hielt. Sie bot sie mir wortlos an.

?Danke?, sagte ich. Mir war klar, dass ich fast flüsterte, als h?tte ich Angst davor, dieses fragile Gesch?pf mit lauter Stimme in die Flucht zu schlagen.

?M?chten Sie etwas von mir??, fragte sie. ?Sind sie deswegen gekommen??

?Nein, ich sagte doch, ich wollte Ihnen nur ein paar von Elijahs Sachen wiederbringen.?

Als ich den Namen nannte, zuckte sie zusammen.

?Ich habe nichts weggeworfen?, fuhr ich fort. ?Es steht alles noch im Keller. Meine Frau will, dass ich es fortschaffe, also suche ich Sie auf, um mich zu vergewissern, dass Sie es nicht zurückhaben wollen.?

?Reden wir nicht über das Zeug.?

?Okay.?

Von irgendwoher drau?en n?herte sich ein Fahrzeug. Veronica fuhr schreckhaft mit dem Kopf zum Eingang herum. Der Motor ging aus und ich h?rte eine Autotür zuschlagen. Als sich Veronica wieder mir zuwandte, machte sie ein Gesicht, als sei sie gerade Zeugin eines grausigen Unfalls geworden.

?Ist das David??, wollte ich wissen. ?Ihr Bruder??

?Sie h?tten nicht herkommen dürfen.?

?Ich wollte Sie bestimmt nicht in Verlegenheit bringen.?

?Es ist nicht gut, dass Sie hier sind.? Sie entzog mir die Tasse, ein Schwall der dicklich braunen Flüssigkeit verbrannte mir die Hand. ?Sie sollten nicht hier sein.?

Die Eingangstür ging auf. Ich hatte nicht bemerkt, wie düster es überhaupt war, als nun die Sonne hereinflutete, wie ein Fingerzeig Gottes. Ich zuckte zusammen. Der Mann, der im Türrahmen innehielt, sah urwüchsig aus mit seinen breiten Schultern; die Umrisse geh?rten wahlweise zu einem Holzf?ller oder wandelnden Betonlaster.

Ich nickte einmal kurz und eindeutig dem Neuank?mmling zu.

David Dentman betrat das Haus und lie? das Fliegengitter hinter sich zufallen. Er hatte helle Haut und grobschl?chtige Züge, sandfarbenes Haar und sehr helle, trist dreinschauende Augen, deren Farbe ich noch nie gesehen hatte. Sein Arbeiterhemd war bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, seine sonnengebr?unten Arme h?tten genauso gut Pythons sein k?nnen, die sich aus seinen ?rmeln wanden.

?Was geht hier vor??, fragte er niemanden direkt.

?Ich bin Travis Glasgow.? Ich verhaspelte mich fast und hatte zu schwitzen begonnen, nur teilweise des Fiebers wegen, von dem ich wusste, dass es in mir aufkeimte. ?Meine Frau und ich sind in Ihr ehemaliges Haus in Westlake gezogen.?

?Glasgow?, wiederholte er, als müsse er sich den Namen einpr?gen. Eine seiner jedem Ringer Ehre machenden Pranken verschwand hinter dem Rücken. Er kramte in der Ges??tasche seiner Hose.

Eine Sekunde lang setzte mein Herzschlag aus, denn ich war mir sicher, dass er gleich ein Messer ziehen und mich bedrohen würde, doch er holte nur eine abgegriffene Ledergeldb?rse hervor, die fast so dick wie ein Taschenbuch war, und warf sie neben die Pappkiste auf den Tisch.

?Das Haus geh?rte meinem Vater?, sagte er sachlich nüchtern. Genau wie seine Schwester es getan hatte. ?Kann ich etwas für Sie tun, Mister Glasgow? Sind Sie den ganzen Weg von Westlake bis hierher gekommen??

?Ich wollte blo? ein paar Dinge vorbeibringen.?

Dentman widmete sich dem Karton. Er schien die Gegenst?nde sofort wiederzuerkennen.

Vermutlich hatte er sie nach dem Tod seines Neffen zusammengepackt. Leicht vorstellbar, dass diese dicken Arme Plüschtiere in die Kisten gezw?ngt hatten. Das Bild h?tte komisch wirken müssen, aber wie ich nun in seinem Haus stand und es mir vorstellte, fand ich es schlicht grauenhaft.

?Sind Sie ein Cop??

?Sehe ich wie ein Cop aus??

?Hat Strohman Sie geschickt??

?Wer ist Strohman??

Dentman stellte sich vor den Karton, ?ffnete den Deckel und schaute hinein, wobei er auf seine Unterlippe biss. Das schummrige Licht traf ihn günstig, reflektierte den Glanz der Stoppeln an Kinn und Hals. Als er mich ansah, wirkte er desinteressiert. ?Haben Sie die Cops hierhergeschickt??

?Natürlich nicht. Ich fand diese Dinge im Keller und hielt es für angebracht, sie Ihnen zu bringen.? Ich schluckte, als müsste ich einen Brocken aus Granit verdauen, und h?ngte an: ?Offenbar war das ein Fehler.?

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