Die Treppe im See(32)
?Weshalb??
Ich wollte den Anschein von L?ssigkeit wahren und nicht durchblicken lassen, dass ich ein Buch schrieb. ?Ich sch?tze aus Neugier.?
?Klar, ganz bestimmt.? Der Klang seiner Stimme bewies mir, dass er mir nicht glaubte.
?Bist du an jenem Tag dort gewesen? Hast du an der Suche teilgenommen??
?Ja.?
?Wie war es??
?Entsetzlich. Mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke.? Adam legte beide H?nde flach auf die Theke. ?Das H?rteste, womit wir es hier zu tun haben, sind Randalierer auf der Hauptstra?e oder Halbstarke, die es lustig finden, ihr Gesch?ft auf den Stufen der Post zu verrichten.?
?Deine Leute waren also nicht darauf gefasst, einen Fall wie diesen zu behandeln??
?Wir sind gute Cops, falls du in diese Richtung zielst. Wir wissen, wie wir unseren Job zu machen haben, und machen ihn gut …?
Er starrte angestrengt auf sein Bier. ?Einer von uns ist im Irak draufgegangen. Er kündigte aus einer Laune heraus und faselte etwas von einer Berufung, der er folgen musste. Schei?e.? Nun wanderte sein Blick durch den d?mmerigen Raum. ?Wir sind eine redliche Polizeieinheit, das meine ich damit.?
?Ich zweifle gewiss nicht daran.?
?Schei?e?, wiederholte er und trank sein halb volles Glas in einem Zug leer, bevor er zwei weitere bestellte.
?Wer hat Nancy Stein befragt??
?Mein Partner?, antwortete Adam. ?Douglas Cordova. Der war auch auf der Feier, du erinnerst dich??
Ich tat es vage: Kerl mit breiter Brust und angenehmen, fast kindlichen Zügen. ?Sicher?, erwiderte ich. ?Hat man die Eltern je ernsthaft verd?chtigt??
?Nicht offiziell.?
?Aber ihr Jungs hattet trotzdem ein paar Fragen an sie??
?Nein. H?r mal, wenn ein Kind auf diese Weise …?
?Dann widmet man sich zuerst den Eltern?, nahm ich vorweg, ?beziehungsweise wie in diesem Fall der Mutter und dem Onkel.?
?Dass man sucht und sucht, ohne den Leichnam zu finden, ist nicht unüblich?, behauptete Adam.
Ich dachte: Sicher, wenn jemand verdammt noch mal im Atlantik ersoffen ist. Mich beschlich das starke Gefühl, dass er mehr sich selbst als mich überzeugen wollte. ?Und was h?ltst du von dem Kinderzimmer, das ich im Keller gefunden habe? Etwas so Schauerliches habe ich noch nie gesehen.?
?Klar.? Er lie? sich nicht festnageln. Irgendwo im Laufe der Unterhaltung hatte ich ihn verloren.
?Vergessen wir den Raum für eine Sekunde. Veronica Dentman lie? das ganze Zeug absichtlich zurück, sorgf?ltig zusammengepackt und versteckt, wie ein schmutziges Geheimnis.?
?Auch nichts Besonderes?, antwortete Adam.
?Kinderbücher, Baseballsachen, Wollhand-und Turnschuhe, Klamotten, Spielzeug …?
?Jeder versucht, mit dem Tod auf seine eigene Weise zurechtzukommen. Veronica Dentman gelang es vermutlich nur so – indem sie schnell wegzog, ohne etwas mitzunehmen.?
?Mir kommt es blo? ein bisschen kalt und unsensibel vor. Absonderlich.?
Adam st?hnte. ?Mal an Mom und Dad gedacht??
Ich nahm einen Schluck Bier und fragte zurück: ?Was ist mit ihnen? Sie machten diese Phase nach Kyles Tod durch, l?schten aber nicht jede Erinnerung an ihn aus. Im Haus hingen weiterhin Fotos von ihm, und einige seiner Sachen lagen ebenfalls noch herum. Es dauerte fast ein Jahr, bis sie sein Schlafzimmer leer r?umten, um Himmels willen.? Der Gedanke daran lie? die Eindrücke zum wiederholten Mal aus der Versenkung aufsteigen: Matchbox-Autos unter Kyles Bett nach der Beerdigung. Ich zwinkerte nerv?s und musste mich r?uspern, ehe ich wieder trinken konnte.
?Genau das meine ich?, betonte Adam. ?Jeder geht damit auf seine Art um. Mom und Dad setzten sich auf ihre eigene Weise damit auseinander. Schei?e, vielleicht bin ich aus einem unterbewussten Wunsch Bulle geworden, denjenigen zu helfen, die es nicht selbst k?nnen.?
Ich merkte, wie er mich anschaute, wollte den Blick aber nicht erwidern. Immer noch dachte ich an die Spielautos, und weil ich irgendwo hinsehen musste, konzentrierte ich mich auf mein Bier.
?Du hast ein paar Bücher über ihn geschrieben?, fügte er hinzu.
?Ein Buch?, sagte ich. ?Nur ein Buch? Und au?erdem hat es Alexander Sharpe geschrieben und nicht ich.
Im Wandspiegel hinter der Theke sah ich, dass Adam grinste. Dann drückte er meine Schulter, woraufhin mir die Luft wegblieb. Ich kam mir vor wie ein Akkordeon. ?Brüderchen, vergib mir, wenn ich dich darauf sto?en muss, aber du hast vier Romane geschrieben, in denen stets jemand ertrinkt beziehungsweise nur knapp dem Tod entgeht, nachdem etwas aus einem See gestiegen ist. Willst du mir weismachen, du seist dem gegenüber, was du die ganze Zeit geschrieben hast, blind gewesen??
Seine Worte erschütterten mich bis ins Mark. Nicht im Entferntesten hatte ich es jemals so betrachtet. Aus seinem Munde klang es umso wahrer, und schlagartig sah ich es ein, als sei es vom Horizont her über mich hereingebrochen. Selbst die verfluchten Titel stellten ein einheitliches Motiv in Aussicht, das mir bis zu diesem Augenblick entgangen war: The Ocean Serene, Silent River, Drowning Pool und Waterview. Ganz zu schweigen von dem Namen auf dem Deckblatt des Manuskriptes, das ich Holly vor unserer Abreise nach London geschickt hatte – Blood Lake.
Fuck, war es wirklich so offensichtlich für die anderen? War ich wirklich so blind? Ich biss auf meine Unterlippe und weigerte mich, Adam den Titel meines jüngsten Projektes zu nennen, der noch grob umrissenen Geschichte über Elijah Dentman und die gest?rte Familie, die vor mir in unserem Haus gelebt hatte: Floating Staircase – Die Treppe im See.
?Du behauptest also, wegen dem, was Kyle passiert ist, Polizist geworden zu sein?? Ich wollte unbedingt das Thema wechseln. Dabei zitterte meine Stimme ein wenig, doch ich glaubte nicht, dass mein Bruder, der die doppelte Menge getrunken hatte, es bemerkte.