Die Treppe im See(25)



Wir machten erneut Liebe in dieser Nacht und es war sehr sch?n, obwohl mir diese ungezügelte Lust wie in der ersten Woche in unserem Haus auf dem Sofa fehlte.

?Was ist los??, fragte Jodie sofort danach.

?Was meinst du??

?Du wirkst so abwesend.?

?Klang gerade nicht so, als h?tte dich das gest?rt.?

?Liegt es an deinen Notizbüchern? Weil ich sie in London aus dem Müll genommen habe??

?Nein.? Für mich h?rte es sich wie aus weiter Ferne an.

?Woran sonst? Irgendetwas stimmt doch nicht.? Sie streichelte meine Brust. ?Ich merke das.?

Ich küsste ihre Stirn, nahm sie in den Arm und drückte sie.

?Du wirst nicht mit der Sprache herausrücken, was??, fragte sie nach einer Weile.

Ich sagte nichts weiter, bis ich letztendlich in einen traumlosen Halbschlaf verfiel, w?hrend Jodie aufstand und duschte, bevor sie zum Bett zurückkam.

Irgendwann kurz vor Sonnenaufgang wurde ich wach, weil ich dachte, eine eiskalte Hand berühre meine Brust. Ich zuckte hoch, wobei mir ein Schrei im Hals steckenblieb. Jodie schlief seelenruhig neben mir; seltsam, dass ich sie mit meinem Erschrecken nicht aufgeweckt hatte. Durch den Raum und einen Teil der Vorh?nge konnte ich den Dreiviertelmond perlwei? am gefrorenen See reflektieren sehen.

Halb bewusst fasste ich an mein Gesicht, w?hrend sich meine Augen noch an die Finsternis gew?hnen mussten. Qu?lende Unruhe trieb mich an. Aufstehen, aufstehen, aufstehen. Ich dachte an nichts anderes mehr, also warf ich die Decken zurück und trat auf den kühlen Hartholzboden. Ein kalter Schauer durchfuhr wie ein Blitz meinen K?rper und ich fühlte wie meine Hoden, diese beiden faltigen Feiglinge auf die Gr??e getrockneter Feigen zusammenschrumpften. Ich zog meine Schlafanzugshose an und schlich in den Flur, immer noch nicht an das Knarzen der Dielen gewohnt; ich zuckte jedes Mal innerlich zusammen, fürchtete, Jodie würde aufwachen. Aber sie schnarchte und war in ihrer eigenen Traumwelt verloren und ich schaffte es, ohne Zwischenf?lle bis zum Teppichboden vorzudringen.

Wie in der ersten Nacht im Haus sp?hte ich übers Gel?nder hinunter in die Diele. Die Kartons standen nicht mehr dort und das Mondlicht fiel ungehindert durch die vorderen Fenster. Ich regte mich nicht, hatte jedoch meine klammen H?nde zu F?usten geballt, und lauschte auf ein Ger?usch in der durchdringenden Stille des Hauses. Ich lauschte und lauschte. Worauf wartete ich? Was hatte mich aufgeweckt? Keine Ahnung.

Im Keller suchte ich nach der Schnur des Deckenlichts und nach einer Weile in der Dunkelheit irrend, wie ein pantomimischer Lotse vor einer Flotte Düsenflieger, spürte ich pl?tzlich, dass er in meinem Gesicht hing. Ich zog daran und das Licht brannte sich in meine Netzhaut. Ich zuckte zusammen und blieb in der Mitte des Kellers stehen, bis ich mich auf die Helligkeit eingestellt hatte. Dann schaute ich mich nach etwaigen Pfützen am Boden um. Es waren aber keine da.

Mein Blick fiel auf den Handabdruck an der Wand gegenüber. Ein besonders beklommener und überempfindlicher Teil meiner Seele war davon überzeugt, dass sich die Spur aufgel?st hatte, oder schlimmer – dass jetzt weitere, Dutzende mehr die Wand bedeckten, und zwar bis in den letzten Winkel –, aber er war da. Der einsame Kinder-Handabdruck.

Natürlich reichte er bereits aus, um mich zu verst?ren, doch nun nagte noch etwas an mir, das seinen Ursprung irgendwann früher am Abend hatte. Etwas Wichtiges war mir entgangen, wenn auch nur knapp, aber ich konnte nicht konkret dingfest machen, worum es sich handelte.

Als ich ins Bett zurückkehrte, begleitete mich dieses unangenehme Gefühl, und auch am Morgen brütete ich sehr lange darüber nach. Da Jodie an der Uni war, versuchte ich wieder, etwas zu Papier zu bringen, stellte aber wenig überrascht fest, dass ich mich einfach nicht darauf konzentrieren konnte. Bald hatte ich zu viel Kaffee getrunken und streifte durch die Zimmer, den leichten Schneefall durch die Mansardenfenster beobachtend.

Gegen Mittag hatte ich den Handabdruck dreimal gemustert. Er war abgesehen davon, dass er bei Tageslicht weniger schauerlich wirkte, unver?ndert geblieben. Tats?chlich glaubte ich gegen halb eins, dass Jodie vielleicht doch recht hatte: Der Fleck war vielleicht schon immer da gewesen. Der offene Farbeimer? Es schien nicht unwahrscheinlich, dass ich ihn dort vergessen und nicht unter die Treppe gestellt hatte, wie ich glaubte. Immerhin geh?rte die Hand einem Kind, und wir hatten keins.

Ich rang mich zum Aufr?umen des Zimmers durch, das unser Büro werden sollte. Immer noch stapelten sich Kisten darin, manche sogar bis an die Decke. Ich hob eine an und fiel beinahe rückw?rts, weil sie so gut wie nichts wog. Sie war leer. W?hrend ich sie zusammen mit ein paar anderen hinaus zur Abfalltonne trug, trommelte ich mit den Fingern gegen die Pappe.

Auf einmal fügten sich gewisse Puzzleteile in meinem tr?gen Geist zusammen, da wusste ich, was mir im Zusammenhang mit der Hand am Gips im Keller entgangen war. Komischerweise hatte es aber nichts mit dem Abdruck selbst zu tun, sondern allein mit der Wand. Wie ich mit den Fingern gegen den Karton klopfte, klang es genauso wie in der Nacht zuvor, als ich es am Trockengips getan hatte.

Hohl.

Ich kehrte in den Keller zurück und klopfte die Wand mit den Fingerkn?cheln ab. Natürlich klang sie hohl, als bef?nde sich nichts dahinter. Ich bewegte mich an ihr entlang, ohne mit dem Pochen aufzuh?ren, bis ich einen Unterschied wahrnahm, wo die Trockenwand unmittelbar über dem Betonschalstein oder irgendwelchen Balken befestigt worden war.

Neugierde und ein rechter Gefühlsaufruhr trieben mich dazu an, alles vor der hohlen Wand aus dem Weg zu r?umen, bis der ganze Bereich freigelegt war. W?hrend ich die Fugen der Gipsplatte ertastete, die man nicht überklebt hatte, jonglierte ich Quadratma?e im Kopf: Der Keller besa? eine kleinere Grundfl?che als das Erdgeschoss, aber erkl?ren konnte ich mir dies nicht. An und für sich h?tten beide Ma?e ungef?hr übereinstimmen müssen. Das bedeutete doch nicht etwa –

Ronald Malfi's Books