Die Treppe im See(15)
?Seltsam?, murmelte ich, w?hrend ich zurück in die Kellermitte trat und die Kartons anpacken wollte, die dort gestapelt waren. Bereits im Durchgang der behelfsm??igen Raumteiler aber hielt ich inne, denn meine Lampe traf auf mehrere seichte Pfützen auf dem Beton. Die hatte ich zuvor nicht bemerkt, obwohl man sie nicht übersehen konnte. Ich richtete den Lichtkegel nach oben, wo kreuz und quer eine Unzahl von Kupferrohren verlief. Falls eines davon leckte, wusste ich nicht einmal, wo man die gottverdammte Wasserleitung abstellte.
Allerdings schienen die Rohre trocken zu sein. Um sicherzugehen, fuhr ich mit der Hand daran entlang, doch abgesehen von blaugrauem Staub blieben meine Finger knochentrocken. Einen hielt ich in eine der Pfützen. Eiskaltes Wasser. Indem ich den Lichtkegel weiter über den Beton schweifen lie?, erschloss sich mir ein gleichm??iges Muster.
Fu?spuren. Feuchte Fu?spuren.
Sie zogen sich der L?nge nach durch den Keller bis vor eine der Gipsplatten, die an die Mauer geh?mmert worden waren. Verschwanden im Nichts.
Vorübergehend fühlte ich mich der Ohnmacht nahe und glaubte, meine Welt stürze ein. Allzu eindringlich stieg meine kindliche Furcht wieder auf, Kyle erhebe sich aus dem Grab und fordere meine Seele ein. In meiner Vorstellung tropfte faulig schwarzes Wasser auf die Diele der kleinen Doppelhaush?lfte, in der wir einst eintr?chtig gelebt hatten. Seine Schritte auf dem Hartholzboden klangen wie der entseelte Herzschlag eines Vampirs.
Ich erschrak vor mir selbst, als ich fragte: ?Kyle?? Kaum hatte der Name meinen Mund verlassen, geriet mein Blut ins Stocken und mein K?rper begann zu zittern. Ziemlich sicher war ich grundlos ver?ngstigt. Mit ziemlicher Sicherheit interpretierte ich etwas aus dem Nichts.
Nur Wasser … nur Wasserpfützen …
Ich schnappte mir ein Handtuch aus dem Waschraum und wischte die Spuren trocken, w?hrend ich mir einredete, sie stammten nicht von Fü?en. Eine war sogar sichelf?rmig und zeigte deutlich den Abdruck von fünf Zehen … dennoch gelang mir, es als Unfug abzutun.
Den Mittag verbrachte ich damit, zahllose Kartons leer zu r?umen und den Inhalt in verschiedene Zimmer zu tragen. Manches deponierte ich vor dem Haus, auf dass die Sperrmüllabfuhr es mitnahm. Sp?ter h?rte ich, wie oben die Haustür zuschlug. Jodie war zurückgekehrt und bewegte sich nun auf dem Bretterboden über mir. Ich zielte mit dem Strahl der Taschenlampe auf meine Armbanduhr, es war zehn nach zwei. Ich war hungrig und fragte mich ob Jodie wohl Lust hatte, mit mir in die Stadt zu fahren, um das Essensangebot vor Ort zu sichten und etwas zu besorgen. So oder so war ich müde und wollte mich nicht mehr in diesen lausigen Katakomben herumtreiben.
Also erklomm ich die schmalen Stufen und kam an der Küche vorbei, wo eine Kanne auf dem Herd kochte und Kaffee unkontrolliert Dampf in die Luft stie? und sich dickflüssig schwarz auf die Platte ergoss.
?Verdammte Schei?e.?
Ich schnappte mir ein Geschirrtuch von der Arbeitsfl?che und wickelte es um eine Hand, zog die Kanne vom Herd und schaltete ab. Der Kaffee brodelte in meiner Hand weiter und wallte auf. Ich stellte ihn ins Spülbecken und wischte die obere Seite mit dem Geschirrtuch trocken.
Oben stapfte Jodie zweimal mit dem Fu? auf, um sich bemerkbar zu machen.
?Ich wei?, ich wei?. Kaffee kocht, schon klar.? Nachdem ich den Rest der Schweinerei beseitigt hatte, wrang ich das Tuch über dem Spülbecken aus.
Zwei Minuten sp?ter suchte ich das Obergeschoss ab, fand Jodie aber nicht. Ich schaute ins Schlafzimmer und Bad. Sie waren leer. Dennoch war ich mir sicher sie geh?rt zu haben. Als ich zurück zur Haustür ging, war diese verschlossen. Ich rief ihren Namen, erhielt aber keine Antwort. Einen Moment lang blieb ich am Fu? der Treppe stehen, starrte entlang der Stufen ins Obergeschoss, bis ich schlie?lich einsehen musste, dass ich allein war.
Sp?ter, als es wieder zaghaft zu schneien begann, ging ich nach drau?en, den wei?en Hang hinter dem Haus hinab, um meine bizarre Nachtwanderung Revue passieren zu lassen. Trotz der nassen Schlafanzughose und meiner gefrorenen Nike-Schuhe war ich fast hundertprozentig davon überzeugt, dass ich den Vorfall am See nur getr?umt hatte. Die Fu?spuren ums Haus, die verschneite B?schung hinunter durchs Geh?lz zum Wasser, fungierten jedoch als unumst??licher Beweis. Ich zog den Parka fester um mich und trat an das Ufer. Auf dem Eis driftete Neuschnee wie wei?es Pulver.
Wie ich so dastand, fischte ich eine Packung Marlboro aus der Jackentasche und betrachtete die Treppe, die durch das Eis aus dem Wasser ragte. Obwohl sie immer noch riesig wirkte, nahm ihr das Tageslicht den zauberhaften Schein und gab sie als das preis, was sie war, ein Konstrukt aus marodem Holz, zersplittert und mit N?geln gespickt. Ich n?herte mich, so gut es ging, weit vorsichtiger als in der Nacht, und konnte die grauen Bohlen schlie?lich genauer betrachten. Derma?en verwittert wirkte das Konstrukt wie ein Knochengerüst. Es d?mmerte mir nicht sofort, aber in einem entlegenen Winkel meines Geistes spross der Keim einer Erz?hlung und wuchs sich aus, noch w?hrend ich mit den H?nden in den Taschen und der glühenden Marlboro im Mund dastand.
Am Ufer entlang ging ich weiter nach Norden, bis die Landschaft zu steil und unw?gbar wurde. Ich schaute von einer Anh?he aus zurück, die sich ungef?hr fünfzehn Meter über dem Wasser erstreckte. Zweige lagen im Gestrüpp, das die Erde überwucherte und schroffe Felsen ragten aus dem Schnee. Alle B?ume waren kahl, und ihre ?ste boten mir sicheren Halt, damit ich nicht mit den Fü?en wegrutschte und über den Rand fiel. Die spitzen Felsen h?tten mich wie Krokodile zerrissen, die einer arglosen Gazelle harrten.