Die Treppe im See(14)



?Das dürfte kein Problem darstellen, aber ich m?chte sichergehen, nur für den Fall. Ich glaube nicht, dass ich den Nerv dafür aufbringen kann, irgendwelche Kursarbeiten nachzumachen. Eher noch breche ich ab.? Sie stopfte die Bluse in eine ihrer sch?nen schwarzen Hosen und betrachtete ihr Spiegelbild.

?Du wirst nicht abbrechen.?

?Vielleicht kann ich auch kellnern gehen. Oder strippen.?

?Schlag dir das aus dem Kopf. Wird schon schiefgehen.?

W?hrend Jodie noch den Kragen zukn?pfte, kam sie herüber und gab mir einen Kuss mitten auf die Stirn. ?Vergiss nicht die Kartons. Und den Schreibtisch.?

?Werde ich nicht.?

?See you later, alligator?, verabschiedete sie sich.

Etwas unbeholfen hievte ich Jodies Tisch den Flur entlang in den Raum, den wir als Büro verwenden wollten. Dort standen noch mehr Kisten an den W?nden, obwohl der Schrank schon von ihren Klamotten überquoll. Ein paar schaffte ich aus dem Weg, ehe ich das M?bel über den Teppich zog und schlie?lich unter ein Einzelfenster mit Blick auf den Garten neben dem Haus stellte. Von dort aus sah man schwarze Kiefern, die als Zierde vom Wald hinunter bis zum See reichten.

In einer der Gipsplatten an der Wand entdeckte ich direkt über dem Fu?boden eine rechteckige Ausstanzung, kaum gr??er als eine Hundetür. H?tte ich die Kartons nicht wegger?umt, um Platz für den Tisch zu schaffen, w?re sie mir entgangen. Als ich mich bückte, stellte ich fest, dass es tats?chlich eine Tür war, ?hnlich der Wandschr?nke unserer Londoner Wohnung, in denen wir Lebensmittel verstaut hatten. Die Regalb?den waren an einer Seite mit Haken versehen, das Fach dank eines Magneten geschlossen geblieben. Dieser gab nach, als ich gegen die Tür drückte, und schon ging sie auf. Ein dunkles Loch offenbarte sich. Eiskalte Luft str?mte heraus und verursachte mir einen Schauer über den Rücken. Schlecht isoliert.

Ich zog die Tür ganz auf, um hineinzusehen. Das eckige Fach war nicht ger?umiger als die Trommel einer Waschmaschine. Der Boden bestand aus unbehandelten Brettern, die Streben in den W?nden waren mit undurchsichtiger Papierfolie bedeckt, aus der rosafarbene Spitzen des D?mmmaterials ragten wie die Polsterung einer alten Couch.

Einige Gegenst?nde am Boden erkannte ich. Eines war unbestreitbar ein Baseball. Ein abgegriffenes Dagobert-Duck-Comic. Einige Matchbox-Autos (und allein sie anzusehen versetzte mir einen kalten Stich ins Herz. Schlagartig erinnerte ich mich an diejenigen, auf die ich nach Kyles Beerdigung unter seinem Bett gesto?en war, woraufhin mich Vater in seiner Trauer mit dem Gürtel geschlagen hatte. Gleich darauf war er zurück in seinen Arbeitsraum gegangen, um im Stillen zu weinen.) Dahinter stand ein Schuhkarton, der ein wenig Staub angesetzt hatte.

Das Geheimversteck eines Kindes, dachte ich mir, als ich hineingriff und den Karton nach vorne zog. Dabei hinterlie? ich einen deutlichen Handabdruck auf dem Deckel. Auf meinem Scho? wog er wenig, aber leer war er definitiv nicht. Kurz nach dem ?ffnen stie? ich ihn blitzschnell von mir und kroch ein Stück auf dem Teppich zurück.

Der Karton blieb auf der Seite liegen und zwei tote V?gel kullerten heraus.

Die Schachtel war voll von toten V?geln, ihre Augen waren wei? wie Marmor, verdreht nunmehr, mit knochigen Krallen, scheinbar in der Bewegung erstarrt. Nach dem ersten Schock beugte ich mich nach vorn und betrachtete die Kadaver genauer. Sie waren steif gefroren, wie glitzernder Reif auf ihren graubraunen Federn zeigte. Einige hatten den Schnabel halb ge?ffnet.

Ich suchte mir einen Sto? Packpapier und legte die beiden kleinen Kadaver darin eingeschlagen zu den übrigen zurück. Jeder von ihnen war leicht wie eine Christbaumkugel. Der Karton kam mir vor wie ein Massengrab. Neun Tiere lagen insgesamt darin. Was für ein grausames Kind –

Natürlich kehrte gleich die Erinnerung an meine eigene Jugend wieder, als ich mich mit dem Frosch in den H?nden hinter dem Schuppen versteckt oder das Nest voller Küken in dem Strauch an der Garage geschmissen hatte. Jeden einzelnen kleinen Vogel hatte ich zerquetscht, bis klebrig gelbe Flüssigkeit aus ihren Aftern gequollen war. Ich fühlte mich schlecht.

?Schei? drauf.? Ich setzte den Deckel wieder auf, machte die kleine Tür zu und trug den Schuhkarton in die Küche, wo er in einen Müllsack wanderte. Den brachte ich in den Hof und warf ihn in eine der gro?en Tonnen.

Im Keller herrschte ein schizophrenes Durcheinander aus Stühlen, Kisten und willkürlich irgendwo abgestellten Gegenst?nden, die in ihrer Funktion nicht mehr zu gebrauchen waren. Die ehemaligen Bewohner, die Dentmans, hatten das Gew?lbe mit Gipsplatten unterteilt und die einst ger?umige Fl?che unter niedriger Decke in ein Labyrinth aus Waben oder verwinkelten Nischen verwandelt.

Ich fand eine Taschenlampe in meinem Werkzeugkasten und leuchtete damit die Trennkammern aus – eine davon war kaum gr??er als ein winziges K?mmerchen – w?hrend ich durchging. Zuerst dachte ich, dass die Dentmans, oder wer auch immer diese W?nde aufgestellt hatte, darauf aus gewesen seien, den Keller zu renovieren. Nach eingehender Betrachtung kam mir die Anordnung der R?ume jedoch zu unkonventionell vor. Sechs waren es insgesamt, die Gipsplatten alt und dementsprechend an manchen Stellen eingerissen. Man hatte sie direkt an die tragenden W?nde des Hauses genagelt, doch keiner der R?ume war elektrisch verkabelt, was auf schlechte Planung schlie?en lie?. Immerhin waren zwei mit je einer weiteren Platte als Decke versehen worden, wo rosa D?mmstoff von oben herabhing. An einer der Trockenw?nde bückte ich mich mit der Lampe und sah, dass Teile abgebr?ckelt waren. Wei?er Staub bedeckte den Betonboden. Ich tastete nach den L?chern im Gips.

Ronald Malfi's Books