Aschenpummel (German Edition)(12)
Ich glaube, was mich von Anfang an mit ihr verbunden hatte, war die Sache mit den unsäglichen Vornamen gewesen. Sie war Mitte der achtziger Jahre geboren worden, als Kind zweier jugendlicher Knight-Rider-Fans, die ihre Tochter nach Michael Knights Freundin Bonnie benannt und aus Familienstolz auch noch den mütterlichen Namen drangehängt hatten.
Ich zog mir denselben BH wieder an, aber immerhin ein frisches T-Shirt darüber. »Ich will leben«, flüsterte ich meinem Spiegelbild zu.
»Teddy!«
»Ja, verdammt! Gleich!« Warum kam sie nicht zu mir, wenn sie etwas wollte! »Scheiße«, zischte ich. Allein schon wegen ihrer Schreierei würde ich meinen nächtlichen Vorsatz in die Tat umsetzen und sie ab jetzt nur noch Be-De nennen. Ich schloss die Augen, atmete kräftig aus und flüsterte: »Wurscht. Alles wurscht. Wurscht.«
»Teddy?«
Ich fuhr herum. »Ich hab nur … Atemübungen gemacht«, stammelte ich. Be-Des missbilligender Gesichtsausdruck hätte jeder bigotten Nonne zur Ehre gereicht.
Gereizt sagte ich: »Schau mich nicht so an, Be-Deeee … nise … Bonnie … Denise. Ich hab gesportelt, danach muss man Atemübungen machen.«
Ich drehte den Wasserhahn auf und entdeckte eine beschlagene Stelle auf dem Spiegel, genau in der Größe meines Mundes. Darüber spiegelte sich Be-Des Gesicht. Sie starrte den Fleck an. Bestimmt dachte sie, ich hätte Küssen geübt. Ach, hätte ich mich nur gestern aus dem Fenster gestürzt.
»Was wolltest du denn?«, fragte ich erschöpft.
»Du hast einen Kunden, der auf dich wartet«, antwortete sie geziert und schob schnippisch die Lippen vor.
»Ich habe wirklich Atemübungen gemacht«, wiederholte ich.
»Natüüürlich«, sagte Bonnie-Denise und wandte sich zum Gehen. Am liebsten hätte ich ihr einen Fußtritt in ihren knochigen Hintern verpasst.
»Einen Kunden«, äffte ich Be-Des gezierten Ton nach und wackelte dabei mit dem Kopf. »Der kann mich mal am Arsch lecken, der Kunde.« Irgendwie ging es mir danach besser.
Ich warf die Klotür hinter mir zu und stolperte zurück in den Verkaufsraum. Diese vermaledeite Be-De! Der Kunde war der Pirat! Und ich sah absolut scheiße aus.
»Pir-, ähm, hallo, Grüß Gott, hallo …«
»Guten Tag, Frau Kis.«
»Guten Tag, Herr Nemeth.«
Ich hatte immer noch die Knackwursthose an. Und keine Weste mehr über Hintern und Hüften. Es fiel mir schwer, meine Hände unter Kontrolle zu halten. Ich wollte nichts dringender als mein T-Shirt zu packen und bis runter zu den Zehenspitzen zu ziehen.
Der Pirat sah mich an. Nicht meine Hüften, nicht meine Waden, nur mein Gesicht. Ich starrte zurück. Rechts von mir nahm ich eine Bewegung wahr, das musste Bonnie-Denise sein, die wahrscheinlich ebenfalls glotzte.
»Ähm, möchten Sie Schuhe kaufen?«, fragte ich vorsichtig und fügte dann schnell hinzu: »Sicher … oder?« Natürlich, du Idiotin, was denn sonst, er wird wohl kaum gekommen sein, um dich zu besuchen. Doch dass der anbetungswürdige Pirat so etwas Gewöhnliches tun sollte wie Schuhe kaufen, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
Trotz der ausgebeulten Hose und des ungebügelten Hemds – ach, könnte ich nur für ihn bügeln – sah er überirdisch aus. Die Augenklappe schien frisch geputzt zu sein und glänzte mit seinem sichtbaren grünen Auge um die Wette. Was hielt er denn da in der Hand? Blaue Fransen lugten aus seiner Faust hervor – ich war plötzlich in höchster Alarmbereitschaft – und als er die Worte sagte: »Das haben Sie gestern bei mir vergessen …«, machte ich einen Satz auf ihn zu und riss ihm das unglückselige Fransending aus der Hand. Doch ich war nicht schnell genug.
»Das ist ja einer von unseren Schals! Mit Preisschild! Teddy«, Be-De sah mich empört an, »hast du ihn gestohlen?«
»Gestohlen? Nein! Mir war gestern Abend so kalt und da hab ich –«
»Kalt? Du hast den ganzen Nachmittag geschwitzt wie ein Schwein, also bitte!«
»Schweiß ist nass und da wird einem kalt«, war das Einzige, was mir dazu einfiel. Könnte nicht bitte ein Ufo kommen und mich zu irgendwelchen Aliens bringen, die mich bei lebendigem Leib ausweiden und danach verspeisen würden? Nur bitte, bitte weg von hier! Und dass Bonnie-Denise jetzt auch noch demonstrativ an dem beschissenen Schal schnüffelte und dabei das Gesicht verzog, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, machte die Sache nicht unbedingt besser.