Aschenpummel (German Edition)(11)



Die letzte Frage klang nicht sehr schmeichelhaft, trotzdem fühlte ich etwas völlig Unbekanntes in mir aufkeimen. Stolz. Ein unerwarteter, kindischer Stolz. Und wieder das Teenagergrinsen.

»Wir haben uns unterwegs getroffen, und er hat vorgeschlagen, dass wir ein Stück gemeinsam gehen.« Es klang nicht ganz so selbstverständlich, wie ich gern gewollt hätte. Als ich die skeptischen Blicke der beiden sah, hielt ich einen Themenwechsel für angebracht. Ich legte die Hand hinter die Ohrmuschel und fixierte Bonnie-Denise mit einem, wie ich hoffte, strengen Blick. Das Dominante lag mir nicht so.

»Kann es sein, dass ich nichts höre?«, fragte ich sie.

Sie stöhnte genervt auf. »Ich hab die Chose heute schon zweimal rauf und runter gespielt. Eine Sekunde, bevor du gekommen bist, war sie aus. Ich wollte gerade wieder auf ›Play‹ drücken.«

»Schalte doch einfach auf Repeat, dann macht das Gerät alles von alleine«, antwortete ich und startete die CD neu.

»Ich sollte eine Gefahrenzulage für den Job verlangen. Irgendwann kriege ich noch Ohrenkrebs«, knurrte Bonnie-Denise.

»Aber singen tut er schon schön, der Frank Sinatra«, schlug sich die Kundin ausnahmsweise auf meine Seite. »Und der Hans hat ihn halt so gerne gehabt. Richtig vernarrt war er in ihn.«

»Und wir müssen das jetzt büßen«, stellte Bonnie-Denise düster fest, worauf die Kundin kicherte.

»Der Hans war großartig«, sagte ich mit fester Stimme. »Und ich würde alles tun, was in seinem Sinne gewesen wäre.«

Bevor Bonnie-Denise weitere despektierliche Bemerkungen über zwei der wichtigsten Männer in meinem Leben machen konnte, trat ich die Flucht an.

»Bin gleich wieder da«, versprach ich, stieß die Ladentür auf, vergewisserte mich, dass kein Zahnarzt in der Nähe war, und lief auf die andere Straßenseite. Keuchend ließ ich mich vor Batman nieder. »Hallo, mein braver, süßer Großer. Geht’s dir gut? Heiß ist es, gell.« Ich streichelte ihn mit beiden Händen, kraulte das raue Fell auf seiner Stirn, seine spitzen Ohren und flüsterte weiter: »Das war nicht nett von mir, dass ich einfach so reingegangen bin, ohne dich zu begrüßen, gell. Gar nicht nett von mir. Aber jetzt bin ich ja da.«

Batman brummte zufrieden und legte dann seinen Kopf auf meine Knie. Aus dem Inneren des Ladens, den er bewachen sollte, hörte ich das Schaben von Stuhlbeinen über Fliesen.

»Ich muss gehen«, hauchte ich Batman zu, strich ihm ein letztes Mal über den Kopf und huschte über die Straße zurück in den Schuhladen.

Sehr zum Amüsement von Bonnie-Denise und ihrer Kundin.

»Ach«, zwitscherte diese verzückt, »mit wem hat denn das Fräulein Teddy nun die Romanze? Der Zahnarzt hat nur gelächelt, aber dem da drüben ist sogar der Speichel übers Kinn gelaufen.« Sie stupste Bonnie-Denise mit dem Ellenbogen an und beide stießen ein kreischendes Lachen aus.

Dämliche, dämliche Weiber. Ich ging an ihnen vorbei und verschwand hinter dem Vorhang. Am Waschbecken zog ich mir BH und T-Shirt aus und begann, mir die Achseln zu waschen. Aus dem Spiegel sah mir ein schmales Gesicht entgegen. Ich dachte daran, wie Strohmann mich angeschaut hatte, betrachtete meine Augen und überlegte, ob es nicht vielleicht doch Augen waren, in denen ein Mann versinken konnte. So wie bei den Frauen in meinen Büchern. Wohl kaum. Mein Blick wanderte tiefer. Schmale Lippen und zu kleine Zähne dahinter. Mäusezähne, wie Tissi schon als Kind gespottet hatte. Passend zu den Mäusefäustchen, die an meinem Oberkörper hingen und wohl als Busen gedacht waren. Das ganze Fett, das ich in mich hineinfutterte, landete in meinen Oberschenkeln und im Hintern. Nur nie, nie, nie in den Mäusefäustchen.

Ich lehnte mich gegen die geflieste Wand. Wurscht, Teddy, ist doch alles wurscht …

»Teddy!« Bonnie-Denises Stimme gellte durch den Laden, und ich hoffte, dass ihre Kundin schon gegangen war, sonst würde sie jetzt taub sein.

»Ja!«, rief ich zurück. Wurscht, Teddy, immer mit der Ruhe, ganz ausgeglichen, ganz wurscht … verdammt nochmal scheißscheißscheißwurscht! Konnte ich nicht wieder nach Hause gehen? Einfach krank sein?

Normalerweise hatte ich nichts gegen Bonnie-Denise. Als sie vor zwei Jahren bei uns angefangen hatte, war ich zwar anfangs von ihrem ständigen Gequake genervt gewesen – meine Kinder hier, mein Mann dort, unser Haus hier, unser Garten dort. Doch ich hatte mich damit abgefunden, dass mir eine damals Dreiundzwanzigjährige an die Seite gestellt wurde, die nicht nur liebende Zwillingsmutter, sondern auch glückliche Ehefrau, Hobbygärtnerin, Hundebesitzerin und Esoterikerin war.

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