Die Treppe im See(99)



Ich duschte, rasierte mich und zog frische Sachen an. Im Büro setzte ich mich, fuhr den Rechner hoch, roch seine elektronischen Innereien und lie? meine Finger über die leicht summende Tastatur gleiten.

Dann begann das Pochen wieder. Es kam direkt von der Wand hinterm Schreibtisch.

Auf H?nden und Fü?en schob ich ihn, da er nicht schwer war, von der Mauer fort. Augenblicklich fühlte ich mich t?richt. Der übelt?ter, natürlich, war die Aush?hlung hinter der Wand. Das Türchen war aufgesprungen und stie? gegen die Rückseite des Schreibtischs, wenn der Wind durch den Dachvorsprung fuhr und sie so zum Schwingen brachte.

Ich drückte die ?ffnung wieder zu, stand aber nicht sofort wieder auf. Drau?en r?hrte die Planierraupe und jemand brüllte etwas.

Ich zog die Schwanenhalslampe auf dem Schreibtisch nach unten und schaltete sie ein. Das Licht war nicht sonderlich stark, erfüllte aber seinen Zweck. Als ich wieder mit einer Hand gegen das Türchen drückte, sprang es erneut auf, und kalte Luft str?mte heraus.

Ich dachte daran, wie Elijah Althea Coulter gesagt hatte, er sei weggegangen.

Dann fiel mir Veronica w?hrend der Befragung ein: Als ich zurückkam … weg …

Ich bückte mich tiefer und schob die Lampe ins Loch, um besser zu sehen.

Es war nichts weiter als ein quadratischer Raum mit rosafarbenem D?mmstoff und Stützbrettchen, der sich als Schrank verwenden lie?, das Versteck eines kleinen Jungen. Der zerschlissene Baseball lag darin, sowie Matchbox-Autos und ein Dagobert-Duck-Comic. Ich erinnerte mich daran, wie Adam und ich unter dem Pier auf der Stelle geschwommen waren, um dem Irren mit dem Gewehr zu entgehen, der auf den Brettern über uns marschierte. Verstecken, dachte ich mir. Kinder verstecken sich.

Als ich zurückkam … weg …

Aber es versteckte sich niemand darin. Die Ausstanzung war leer. Ich hatte es gewusst, und zwar schon damals, als ich sie zum ersten Mal ge?ffnet und den Schuhkarton mit den toten V?geln entdeckt hatte. Was hatte ich erwartet zu finden?

Und dann roch ich es.

Widerlich sü? wie tagelang abgestandener Kamillentee. Getragen durch die kühle Luft wurde es mit jedem Atemzug intensiver. Ich knickte den Hals der Lampe an der ?ffnung fest und steckte meinen Kopf hinein. Auch wenn ich mitnichten ein st?mmiger Kerl bin, war es trotzdem zu eng für mich, um meine Schultern hineinzuzw?ngen. Ich entsann mich der Albtr?ume, die mich Wochen zuvor heimgesucht hatten – zu Tode gequetscht zwischen sich zusammenziehenden W?nden. Pl?tzlich brach mir der Schwei? auf der Stirn aus.

Es ist ein Kommen und Gehen.

Gehen, entschied ich in diesem Fall. Er ist hier drin verschwunden.

Ich streckte meine Hand und nestelte an einem Stück der Papierfolie, die an den Isoliermatten klebten. Sch?lte sie langsam von den Holzbalken ab. Eigentlich rechnete ich damit, dahinter auf eine Gipswand zu sto?en, die Seite zum Büro hin. Doch was mir die Schwanenhalslampe zeigte, war ein schmaler Durchlass zwischen Wand und Dachsims, ein vertikaler Schnitt. Dies war nicht blo? eine ?ffnung, sondern eine zum Durchkriechen.

Ich zog die Lampe dichter an den engen, finsteren Spalt, hielt die Luft an und fühlte, wie mir der Schwei? übers Gesicht lief.

Kommen und Gehen, dachte ich.

Atmete nicht.

Ich sah ihn.





Kapitel 36




Der ungew?hnlich harte Winter hatte den Leichnam praktisch konserviert und verhindert, dass das ganze Haus stank. Das jedenfalls mutma?te der Forensiker und die Polizisten, die die Zimmer, Flure (und W?nde) von Waterview Court 111 mehrere Stunden lang in Beschlag nahmen.

Ich stand vor dem Haus, als sie Elijah Dentman bargen. Zwei Officers trugen den K?rper zum Krankenwagen, obwohl klar ersichtlich war, dass es einer allein auch geschafft h?tte, ohne Schwei?ausbrüche zu bekommen. Sie benutzten eine Holzbahre mit je zwei Griffen an den Enden und hatten sein Gerippe mit einem wei?en Laken zugedeckt. Von der Seite betrachtet sah es wie eine ferne Gebirgskette aus. Ein paar Hunde aus der Nachbarschaft kamen und schnüffelten herum, die ein weiterer



Officer davonscheuchte.

Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Traube Schaulustiger in der Sackgasse zusammengekommen, manche von ihnen traten auf die Grünfl?che vor dem Haus und schauten an der Seite vorbei nach hinten. Sie alle sahen entsetzt zu, wie man den Leichnam heraustrug und in den Wagen schob. Als er losfuhr, blieben Blaulicht und Sirene ausgeschaltet.

Oben blieb ich in der Bürotür stehen. Ich durfte nichts anrühren, wie man mir gesagt hatte. Meine Erfahrung mit Verbrechensschaupl?tzen (zugegebenerma?en von zu viel Fernsehen) war eine sterile Umgebung, aufger?umt, in der die Beamten grimmig bis gefühllos arbeiteten und Krawatten zu steifen Anzughemden trugen.

Hier allerdings versuchte jeder die Atmosph?re so zwanglos wie m?glich zu halten, selbst in dem and?chtigen Augenblick, als die Leiche durch einen Schnitt in der Wand aus dem Spalt in den Flur gezogen wurde. Da war nirgendwo gelbes Band ausgerollt, und die Cops trugen Uniform. Weder sahen sie aus, als h?tten sie alles unter Kontrolle, noch als h?tten sie Antworten, obwohl alles geregelt ablief. Sie wirkten so jung und sahen aus, als würden sie hier dazulernen, mehr als ich. Diese Officers waren nicht allwissend und allm?chtig; es waren Normalsterbliche, die ihren Job erledigten, die unverhohlen ihre Emotionen auf den Gesichtern zeigten. Realer ging es nicht.

All diese Jahre, dachte ich mir, habe ich Verbrechensszenen falsch beschrieben.

Adam tauchte neben mir auf. ?Du siehst grün aus?, bemerkte er.

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