Die Treppe im See(97)
Strohman war kaum mitgekommen, so schnell hatte Dentman gesprochen. Das Notizbuch hatte er nach gut der H?lfte zur Seite gelegt, um einfach nur zuzuh?ren. Die H?nde des Polizeichefs ruhten auf seinem Scho?, und er hatte die Beine übereinandergeschlagen. Kurz darauf lie? er Dentman alles noch einmal aufsagen, der wiederholte alles Wort für Wort, bevor er anordnete, Veronica zu holen.
?Sie müssen natürlich drau?en warten, w?hrend wir mit ihr reden?, sprach Strohman und klappte sein Notizbuch zu.
?Dann wird sie nichts sagen.?
?Warum??
?Weil ich ihr zuletzt sagte, sie solle erkl?ren, dass sie geschlafen habe. Wenn ich nicht bei ihr sitze und ihr etwas anderes sage, werden Sie nichts zu h?ren bekommen.?
Strohman fing leise zu kichern an, was auf seine M?nner im Protokollraum übersprang.
?Kein schlechter Trick?, befand er, nachdem er sich gefangen hatte. ?Sie verstehen aber, dass wir Sie nicht beide –?
?Holen Sie sie herein und lassen Sie mich hier sitzen. Ich sage ihr nur, dass sie die Wahrheit sprechen soll.?
Strohman saugte an der Innenseite seiner linken Wange. Dann klatschte er in die H?nde, was alle erschreckte, au?er Dentman. ?Also gut?, sagte er. ?Machen wir es so. Zuerst gehe ich aber pissen.?
Auf der Treppe vor dem Eingang rauchte ein Teil von uns Zigaretten und schauderte in der K?lte.
?K?ltester beschissener Winter seit Jahren?, meinte McMullen. Er steckte seine H?nde in die Hosentaschen. ?Und das am Arsch der Welt.?
Fünf Minuten sp?ter kehrten wir wieder in den Zuschauerraum zurück. Man führte Veronica herein – ohne Handschellen – und lie? sie auf einem Stuhl in der Mitte zwischen Strohman und ihrem Bruder Platz nehmen.
Strohman schlug eine leere Seite seines Notizbuches auf, und schon fing der gottverdammte Stift wieder zu klopfen an.
Ihre Antworten auf seine ersten Fragen fielen so einstudiert aus, dass es fast komisch wirkte … dann deprimierend und teilweise auch be?ngstigend. ?Ich habe geschlafen.?
?Veronica, Ihr Bruder berichtete uns gerade –?
?Ich habe geschlafen.?
?Sie müssen begreifen –?
An ihren Haaren ziehend fing sie wie ein Kind zu kreischen an: ?Ich habe geschlafen! Ich habe geschlafen! Ich habe geschlafen!? Sie schlug mit den H?nden auf den Tisch und kratzte mit den Fingern?geln über das Holz.
Nicht wenige von uns zuckten zusammen.
?Verfluchte Schei?e?, schnaubte Strohman.
?Warten Sie?, sagte Dentman. überraschend z?rtlich umschloss er eine der dürren H?nde seiner Schwester. Er rieb mit den Daumen über ihren Handrücken, es klang, als strich er über Kohlepapier. ?Darling?, sagte er ruhig. ?Es ist jetzt Zeit, die Wahrheit zu sagen.?
Veronica zitterte wie ein neugeborenes Reh, als sie sich der Anwesenheit ihres Bruders bewusst wurde und ihn musterte, als müsse sie ihn kennen, obwohl er ihr eigentlich fremd vorkam. Ich ahnte schon eine Sekunde vorher, dass ihr die Tr?nen kamen, und dann str?mten sie unaufhaltsam über ihre eingefallenen, blassen Wangen. Ihre schmalen Lippen bebten, und die Sehnen an ihrem Hals waren dick wie Telefonkabel. ?Er … hat sich den Kopf angeschlagen … auf den Stufen … im See … Blut … an mir, an ihm … ins Haus getragen … überall Blut … ich ging … lie? ihn allein … den Rücken gekehrt … als ich zurückkam … weg.?
Niemand sagte etwas. Alle Augen waren auf die fragile Frau gerichtet, die gerade vor uns zusammenbrach. Ihre Worte waren pl?tzlich nicht mehr wichtig. Auch nicht die ihres Bruders. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, einfach alles. Ich betete darum, dass jemand etwas sagte – irgendetwas. Bis dahin hoffte ich inst?ndig, dass mich die Stille nicht umbrachte.
Im Verh?rzimmer klappte Strohman sein Notizbuch zu.
Kapitel 34
Adam setzte mich an diesem Abend zu Hause ab. K?rperlich wie seelisch ausgezehrt trat ich ein und hatte nichts weiter im Sinn, als unter die Dusche zu kriechen und die Müdigkeit mit warmem Wasser aus meinen Knochen zu treiben.
Jodie stand unten an der Treppe, halb im Schatten.
Ihr Gesichtsausdruck lie? mein Blut in den Adern gefrieren.
?Ich glaube …? Sie schaute sich um wie ein blindes Kind, das auf einmal wieder sehen konnte. ?Ich glaube, hier ist jemand eingebrochen.?
?Wovon redest du? Hast du geschlafen??
?Ja, aber irgendein Ger?usch hat mich geweckt, dumpfe Laute. Es h?rte sich an wie ein Tier, gefangen im Speicher oder hinter einer Mauer. Ich stand auf, um nachzuschauen, was es war. Ich dachte, du seist vielleicht nach Hause gekommen und ich h?tte die Haustür nicht geh?rt. Also rief ich deinen Namen.? Ich sah, wie ein Schauer sie durchlief. ?Oh Gott.?
?Was denn? Jodie …?
?Ich rief nach dir, dann h?rte ich jemanden durchs Wohnzimmer laufen, und die Haustür zuschlagen.?
?Babe.? Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. ?Du hast getr?umt.?
?Nein, ich war wach.?
?Hier ist niemand. Die Haustür war abgesperrt, ich musste sie eben aufschlie?en.?
?Bist du sicher??
?Ich schw?re.?
?Jesus …? Ihr Kopf ruhte an meinem Schlüsselbein. Sie lachte nerv?s. ?Oh, Jesus.?
Am Morgen tauchte Adam auf und brachte mir ein Dokument, das ich unterschreiben sollte. Es sah sehr offiziell aus, mit dem Titel ?Durchsuchungserlaubnis? ganz oben. Dazu bemerkte er: ?Strohman braucht dein Einverst?ndnis, damit wir, sobald der Boden ein bisschen auftaut, deinen Garten umpflügen k?nnen.?